Projektbeschreibung
Das Teilprojekt A untersucht das Invektivgeschehen in konkreten Kommunikationsräumen der römischen Republik und Kaiserzeit. In diesen „Arenen“ existieren unterschiedliche Verhaltensregeln, Rollenverteilungen, Erwartungshorizonte, und auch die Höhe der Schwellen zu invektiven Attacken ist different.
Die zentrale Rolle des Publikums, das mit seiner Parteinahme faktisch über Sieg oder Niederlage zwischen den Kontrahenten entscheidet, führt in manchen Arenen zu einer sozialen Inversionslage. Arenen, in denen die versammelte Menge als Publikum über Senatoren eine Art Urteil spricht, nennen wir „Populararenen“. Damit bringen wir zum Ausdruck, dass hier das Volk (populus), ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, die Entscheidung treffen kann, wem aus der Führungsschicht Zustimmung oder Ablehnung zuteilwird. Zur Kultur der urbanitas, der geschliffenen Lebensart der Städter im Gegensatz zu den Landbewohnern, gehörte auch der scharfe Witz auf Kosten anderer. In diesem invektiven Kommunikationsklima, das in allen Schichten Roms anzutreffen war, wurde von einem Stadtrömer Schlagfertigkeit erwartet. Wem der Sensus fehlte, in anspielungsreichen Äußerungen schnell den Witz – und die Beleidigung – zu erkennen, der wurde schnell zum Opfer der urbanitas. Die Inhalte und Formen der Beleidigungen waren äußerst vielfältig, doch dominant war offenbar die Infragestellung der Männlichkeit, vor allem in sexueller Hinsicht.
Die Rahmenbedingungen forderten den Akteuren eine gewisse Invektivrobustheit ab. Die Art der Kommunikation, die neben der harten Auseinandersetzung auch in eigentlich entspannten Gesprächen schnell in einen Austausch von Geistreicheleien mit invektiver Komponente ausarten konnte, zwang die aktiv Politik betreibenden Senatoren, eine Menge auszuhalten. Doch das politische System, geprägt durch geringe inhaltliche Festlegungen und Abwesenheit weltanschaulich ausgerichteter Parteiungen, machte es unmöglich, Massen von langfristigen und über die Generationen weitergereichten Feindschaften zu pflegen. Die alltägliche Arbeit der Senatoren bestand wesentlich darin, für unzählige kleine Angelegenheiten Mehrheiten zusammenzuschmieden. Diese politische Praxis war mit Dauerfeindschaften wenig kompatibel, weil sie zu Politikunfähigkeit geführt hätten. Wollte man in diesem politischen System weiter aktiv sein, musste man immer wieder alte Kränkungen beiseiteschieben. Eskalationsdynamiken waren in der römischen Elite durch den Systemrahmen jedenfalls in ihrer zeitlichen Dimension eingedämmt, was nicht bedeutet, dass sich die Kontrahenten mitten im Schlagabtausch Grenzen auferlegt hätten. Insgesamt wurde die Systemstabilität durch die relative Elastizität im Umgang mit Gegnern von gestern relevant erhöht.
Mit der Kaiserzeit haben sich die Schwellen zur invektiven Attacke offenbar verschoben bzw. erhöht, was nicht zuletzt an der die Neigung des Kaisers lag, den Schutz der Senatoren vor allzu massiven Beleidigungen als seine Aufgabe anzusehen. Dennoch sorgte die republikanische Selbstdarstellung des Augustus dafür, dass das Volk in den Populararenen weiterhin große Freiheiten zur invektiven Aktion besaß. In den Volksversammlungen reduzierte sich die Zahl der öffentlich ausgetragenen Kontroversen von Senatoren. Keineswegs ist es aber zu einer umfassenden Kalmierung der Kommunikation in den öffentlichen Räumen gekommen. In den Populararenenschreckte man weiterhin nicht vor der Anwendung des brutal verletzenden römischen Humors zurück. Dabei stand der Kaiser selbst im Rampenlicht und musste sich Schmähungen gefallen lassen, auf die er, wenn er sein Prestige nicht riskieren wollte, eher mit Milde als mit Härte reagieren sollte. Schon in der Triumviratszeit sehen wir, dass trotz der allgegenwärtigen Gewalt und der Skrupellosigkeit selbst Octavian sich davor hütete, gegen das ihn massiv herabsetzende Volk vorzugehen.