Projektbeschreibung
Das Teilprojekt R untersucht, auf welche Weise kulturelle Differenzmarkierungen von der Potentialität des Invektiven strukturiert werden, welche kommunikativen Formen der Realisierung bzw. der Vermeidung von Invektiven für interkulturell kodierte soziale Situationen charakteristisch sind und inwieweit diese zur Dynamisierung, Erosion oder Stabilisierung sozialer Ordnung(svorstellungen) beitragen. Grenzüberschreitende Mobilität von Menschen als Tourismus, Flucht, Migration, Diplomatie, Handel, Studierendenaustausch, Expatriation, um nur einige Ausprägungen zu nennen, gilt als elementares Strukturelement globaler Vergesellschaftung. Mit ihrer Zunahme häufen sich Begegnungen mit natio-ethno-kulturell Anderen. Dabei ist der gesellschaftliche Umgang mit Phänomenen des zunehmenden kulturellen Austauschs durch Ambivalenzen geprägt, die sich diskursiv zwischen den Polen ‚Kosmopolitismus‘ und ‚Neonationalismus‘ aufspannen. Eine paradoxe Begleiterscheinung von Globalisierung ist die Stärkung national-ethnischer Kategorien der Selbst- und Fremdbeschreibung, die als stereotype Wissensvorräte die Interaktion mit ‚kulturell fremden Anderen‘ orientieren. Dabei sind interkulturell kodierte soziale Situationen in eine Makrostruktur globaler sozialer Ungleichheiten eingebettet, in der die national-ethnische Zugehörigkeit als Platzanweiser fungiert. Die kulturelle Kodierung von Differenz und Geltungsansprüchen ist daher für die Beteiligten naheliegend und eröffnet zugleich ein breites Spektrum an invektiven Potentialen. Die Betonung kultureller Andersartigkeit kann intendiert in invektiver Form vorgebracht werden, um das Gegenüber zu beleidigen. Eine Äußerung kann aber auch, obwohl nicht so gemeint, von Adressierten bzw. anwesenden Dritten als herabwürdigend, verletzend oder beleidigend aufgefasst werden und zu strategischer, die Äußerung oder Sprecher/innenposition delegitimierende (‚metainvektive‘) Anschlusskommunikation Anlass geben. So kann der Verweis auf kulturelle Differenz als Markierung von Nichtzugehörigkeit exkludierend wirken, er kann als Abwertung der einen gegenüber der anderen ‚Kultur‘ verletzen oder als Ignoranz gegenüber vermeintlich relevanteren Differenzkategorien wie Geschlecht, persönliche Dispositionen oder soziale Ungleichheit missbilligt werden. Als diskursive Wissensressource, die durch kritische Positionen etwa im interkulturellen Kommunikations-, Integrations- oder Rassismusdiskurs bzw. als Lerninhalt interkultureller Trainings disseminiert, verleiht das Wissen um ‚Invektivfallen' interkulturell kodierten Situationen eine zusätzliche metainvektive Signatur.
In einem ethnografisch-praxeologischen Zugriff fokussiert das Teilprojekt die situative Realisierung interkultureller Vollzugswirklichkeiten und die dabei stattfindenden Aushandlungsprozesse divergierender sozialer oder normativer Geltungsansprüche in zwei Praxisfeldern: (A) Interkulturelle Kompetenztrainings für Angehörige deutscher Organisationen in Tätigkeitsfeldern, die auf transstaatlicher Kooperation beruhen und diese reproduzieren (u.a. Wirtschaft, Wissenschaft); (B) Integrationskurse im Kontext von Flucht und Migration, die auf die Regulierung transstaatlicher Mobilitätspraktiken innerhalb des nationalstaatlichen Ordnungsrahmens der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind. Es handelt sich hierbei um zwei Praxisfelder des kulturellen Lernens und Lehrens, in denen davon ausgegangen wird, dass Handlungsfähigkeit in interkulturellen Situationen erst hergestellt werden müsse und dazu der Erwerb von fremdkulturellem Wissen erforderlich sei. Ihnen ist gemeinsam, dass kulturelle Konfliktrisiken antizipiert und das Handeln in fremdkulturellen Kontexten auf je spezifische Weise eingeübt wird. Sie unterscheiden sich gleichzeitig im Hinblick auf die Problemlösungen, die sie offerieren und die auf gegensätzliche gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen verweisen. Auf der einen Seite sollen interkulturelle Kompetenztrainings Ambiguitätstoleranz fördern und auf ein Zusammenleben bzw. die Zusammenarbeit in heterogenen, transstaatlichen Konstellationen vorbereiten. Hier avanciert mithin interkulturelle Kompetenz zur Schlüsselqualifikation des modernen kosmopolitischen Individuums. Auf der anderen Seite sollen Integrationskurse die symbolisch-kulturellen Grenzen der Zugehörigkeit innerhalb eines nationalstaatlich-gesellschaftlichen Ordnungsrahmens bewahren. Grenzüberschreitende Mobilität in Form von Flucht oder Migration gerät hier zum regelungsbedürftigen Sonderfall. Als Laboratorien des gesellschaftlichen Umgangs mit antizipierten kulturellen Konfliktrisiken bilden Interkulturelle Kompetenztrainings und Integrationskurse geeignete Untersuchungsfelder für eine vergleichende Untersuchung der situativen Emergenz und Dynamik kulturbezogener invektiver Interaktion im Hinblick auf ihre vergesellschaftenden bzw. vergemeinschaftenden Funktionen.