TP D: Projektbeschreibung
"Agonale Invektiven. Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus"
Das Teilprojekt untersucht die invektiven Kommunikationsformen im italienischen und deutschen Humanismus, in welchem sie überraschenderweise einen bedeutenden Stellenwert hatten. Es verfolgt die Fragen, welche Funktion die humanistischen Invektiven im Hinblick auf Gruppenbildungsprozesse hatten, wie sie Grenzen von Kommunikation verschoben und in welcher Weise sie auf die reformatorischen Auseinandersetzungen Einfluss nahmen. Das Teilprojekt zeigt auf, wie mit Invektiven Macht- und Geltungskonkurrenzen ausgefochten wurden und sich soziale Gruppen durch In- und Exklusionsmechanismen formierten. Es geht von der These aus, dass es gerade das dynamisierende Medium des Invektiven war, das zu den weitverzweigten Zirkeln, Sodalitäten und Akademien der neuen Bewegung des Humanismus führten.
Es wird zum einen nach der Bedeutung des Invektiven für das Bemühen um die Durchsetzung einer neuen Bildungsbewegung durch Diskreditierung der alten gefragt: Gemeinsam sollte die Scholastik überwunden und Latinität auf zumindest klassischem Niveau sowie eine neue Theologie im Sinne der Devotio moderna durchgesetzt werden. Wer dem nicht folgen wollte oder konnte, wurde mit beißendem Spott überzogen und als Imbeziler oder Irrgläubiger stigmatisiert. Auf der anderen Seite aber zeugt die Bereitschaft, eine Invektive zu adressieren bzw. sie zu beantworten, von der Zubilligung gegenseitiger Satisfaktionsfähigkeit. Insofern wird erforscht, inwiefern Invektivität zur Einhegung von Konflikten auf das diskursive Feld und zur sozialen Integration der Humanistengemeinschaft insgesamt beitrug. Die Frage nach einer Regelhaftigkeit im Ablauf der Schmährededuelle verweist zugleich auf kulturelle Modelle aus anderen agonalen Arenen der Zeit: Inwiefern, so wird gefragt, wurde mit Invektiven ein kompetitives Kräftemessen ausgetragen, wie es auch beim gleichzeitigen Ehrenduell, sportlichen Wettkampf, etwa im italienischen Palio und Calcio, oder Wettbewerb im Rahmen der Kunstpatronage zu beobachten ist? Es stellt sich bei diesem Vergleich aber die Frage, inwiefern das Invektive überhaupt einzuhegen ist, ob es sich also nicht grundsätzlich einer Regelhaftigkeit entzieht und insofern über das Agonale hinausweist.
Das Projekt fragt in Arbeitsbereich A (Ludovica Sasso) danach, inwiefern Konkurrenzen um einflussreiche Positionen unter den Humanisten, etwa bei Poggio Bracciolini, der sowohl am Papsthof als auch in der Kommune von Florenz in höchster Stellung war, in der ersten Hochphase des Humanismus zum wechselseitigen Austausch von Invektiven führten, die zugleich eine gruppendynamische Funktion hatten. Es ist wohl kein Zufall, dass in diesem Kontext mustergültige Formen gefunden wurden, die große Wirkung auf Literaten auch außerhalb Italiens hatten. Vergleichend soll daher gefragt werden, ob und, wenn ja, wie diese Invektiven die Entwicklung im Reich nördlich der Alpen beeinflussten.
Exemplarisch wird dies in Arbeitsbereich B (Marius Kraus) an den Invektiven Ulrich von Huttens geschehen, der durch wiederholte Aufenthalte an verschiedenen nördlich wie südlich der Alpen gelegenen Universitäten in breiten transalpinen Verbindungen stand und über unmittelbare Kenntnisse des jeweiligen Invektivengebrauchs verfügte. Vergleiche zwischen dem italienischen und deutschen Humanismus werden Konjunkturen und Transferwege des Invektiven aufweisen und zur Klärung beitragen, in welchem Verhältnis ihre Formen, Konstellationen und Funktionen zu den jeweiligen kulturellen Milieus standen. In diesem Zusammenhang wird am Beispiel von Georg Spalatin und Paul Bachmann überdies untersucht, welchen Einfluss humanistische Invektiven auf reformatorische Invektiven hatten.