Projektbeschreibung
"Sakralität und Sakrileg. Die Herabsetzung des Heiligen im interkonfessionellen Streit des 16. Jahrhunderts"
Das Teilprojekt untersucht mit den Invektiven gegen das Mönchtum, die Heiligen und ihre Legenden jene Schwerpunkte der reformatorischen Invektiven gegen die römische Kirche, die als legitimierende und lebensweltlich eingebundene Aspekte der religiös-sakralen Ordnung fungierten: Wallfahrten, Reliquien und Heiltumsweisungen, die von den überlieferten Legenden semiotisch gefüllt wurden, ermöglichten den Laien einen jenseits der kirchlichen Dogmatik angesiedelten Zugang zur Transzendenz und bildeten damit stabilisierende Elemente der Verbindung von Kirche und Laien. Die Heiligen konnten angerufen, die Legenden erbaulich gelesen werden und die Askese der Mönche konnte der verbreiteten Armut den Vorschein einer Heilsgarantie verleihen.
Heilige, Legenden und das Mönchtum waren daher eng mit den Praktiken spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Laienfrömmigkeit verbunden. Sie anzugreifen war insofern riskant. Am ehesten ließen sich noch Mönche diskreditieren, denen mangelnde Frömmigkeit und Heuchelei vorgeworfen wurde, wofür es eine relativ breite mittelalterliche Tradition gab; schwieriger aber war es, den gesamten Stand und seine asketische Lebensweise als selbstbezogen und gottlos herabzusetzen. Anerkannte Heilige und ihre Legenden waren weitgehend sakrosankt.
Daraus ergibt sich die Fragestellung, wie Invektiven gegen sie begründet und geführt werden konnten, welche Voraussetzungen für den kommunikativen Erfolg dieser Invektiven hergestellt werden mussten, welche Legitimationen erforderlich waren und welche dynamischen Transformationen sich für die Legende als zentrale Gattung religiösen Erzählens entfalteten. Untersucht werden auch die Anschlusskommunikationen auf Seiten der katholischen Invektierten sowie die Umschlagspunkte in der invektiven Konstellation, bei der sich die Positionen von Invektierern und Invektierten verkehrten. Unter diesem Aspekt fragt das Projekt danach, wie die katholischen Kontroversisten das Mönchtum verteidigten, die Heiligen und ihre Hagiographie sakrosankt zu stellen versuchten und Gegeninvektiven entfalteten, die nicht zuletzt auf Luther selbst zielten, den die reformatorische Bewegung in paradoxaler Verkehrung ihrer Heiligenkritik selbst zum Heiligen machte.