Projektbeschreibung
TP M: Invektivität in literarischen und filmischen Darstellungen von Migration im Italien des 20./21. Jahrhunderts
Das Projekt konzentriert sich auf Invektivkonstellationen in literarischen und filmischen Migrationsnarrationen, die nach 1990 entstanden sind und v.a. die Immigration nach Italien seit 1990 zum Thema haben. Unser Fokus auf Invektivkonstellationen mündet innerhalb der Arbeitsbereiche zum einen in Analysen der erzählten Figuren und deren Interaktionen, Handlungsmotivationen, Erfahrungen und Erinnerungsprozesse in der erzählten Welt. Zum anderen beobachten wir die Relationierung dieser Figuren mit Gruppendynamiken, Normkonstrukten bzw. soziokulturellen Ordnungen, wie sie als (kritische) Variationen realer Verhältnisse in der Diegese inszeniert bzw. diskutiert werden. Uns interessieren v.a. die mehr oder minder von Herabsetzungsphänomenen geprägten diegetischen Umwelten, in die sich das erzählte Geschehen einbettet. Unser Blick gilt den dabei verwendeten literarischen bzw. filmischen Erzähltechniken sowie den medialen Verfahrensweisen, mithilfe derer bestimmte Aspekte dieser invektiv konstellierten Umwelten besonders profiliert und dadurch reflexiv gemacht werden. Wir fragen also danach, wie metainvektive Reflexivität generiert wird: Dies kann durch die humoristische Übertreibung von Stereotypen geschehen, durch die Akzentuierung struktureller Rahmungen (bspw. als kritische Inszenierung der massenmedialen Berichterstattung über Immigration in Italien), durch eine prägnante Zeichnung des Handlungsverlaufs oder nicht zuletzt über die Darstellung der destruktiven Wirkungen erzählter Invektivität auf Figurenebene. Im Laufe unserer Beobachtungen wurden wir besonders auf narrativierte Erscheinungsformen von Invektivität aufmerksam, die als 'strukturelle' Invektivität gefasst werden können. Entsprechende Invektivkonstellationen werden in Migrationsnarrationen regelmäßig inszeniert und ausgestellt: Formen in Raum und Zeit stabilisierter Herabsetzung von migrierten Menschen als 'Anderen', die mit demütigenden institutionellen bzw. administrativen Prozeduren (etwa Praktiken der Identifizierung bzw. der administrativen Erfassung) und längst naturalisierten Gruppenstereotypen bedacht werden, welche die aufnehmende Mehrheitsgesellschaft kaum mehr hinterfragt.
Zudem interessieren wir uns dafür, wie die eingesetzten literarischen bzw. filmischen Erzähltechniken und Verfahrensweisen invektive Charakterisierungen von und Aussagen über Figuren/Menschen mit Migrationserfahrung bestätigen und/oder noch verstärken – wie sie also invektive Kodierungen produzieren: Dies geschieht bspw. dadurch, dass aufgrund der narrativen Machart – zum Beispiel durch den Einsatz des whodunit-Schemas, innerhalb dessen eine migrantische Figur dazu dient, einen falschen Verdacht zu erwecken – migrationsbezogene invektive Stereotype wie dasjenige der ‚kriminellen Migranten’ (partiell) fortgeschrieben und somit potentiell 'alle' migrierten Menschen herabgesetzt werden.
Darüber hinaus macht die Projektarbeit konstitutive Differenzen zwischen filmischen und literarischen Erzählungen sichtbar: Das italienische Filmfördersystem bedingt, dass fast ausschließlich italo-italienische Regisseur:innen – die staatliche Filmförderung ist in Italien an die Staatsbürgerschaft gebunden – meist männlichen Geschlechts Migrationsfilme verwirklichen können, die in der Regel den Umgang der italienischen Aufnahmegesellschaft mit Immigration ins Zentrum stellen. Im Bereich der Literatur finden sich hingegen viele Autor:innen mit Migrationserfahrung neben einigen italo-italienischen Autor:innen, die sich mit der Post-1990-Immigration und – immer noch klein an Zahl – mit der italienischen Emigration zwischen 1870 und 1970 auseinandersetzen. Im Fokus dieser Texte steht in der Regel das Erleben migrantischer Figuren. Thematisiert werden etwa der wechselweise Umgang mit Fremdheit, die Konstruktion von Identität zwischen den Kulturen, das Verhältnis von Körperlichkeit und Ausgrenzung oder postkoloniale Verhandlungen gesellschaftlicher Ungleichheit.