Parodie und Pasquinade. Gestalt und Genese von Modernisierungsprozessen frühneuzeitlicher Kunst
Das Teilprojekt untersucht Bildparodien vom frühen 16. bis ins 18. Jahrhundert als Ausdruck invektiver Kunstkommunikation. Im Zuge der Kanonisierung von Kunstproduktion im Laufe der Renaissance bilden sich im Sinne der imitatio veterum bildgenerierende Verfahren heraus, die Künstler auf die Nachahmung bewährter Vorbilder verpflichten. Als Antwort darauf entstehen Techniken und Gattungen der Devaluation: Parodien, die Werke oder deren Urheber der Lächerlichkeit preisgeben, indem sie bekannte Motive in unpassende und despektierliche Kontexte überführen. Mit der Karikatur entsteht ab dem späten 16. Jahrhundert eine ‚Gegenkunst‘ zu klassizistischen Idealen, die sich zu einem visuellen Pendant schriftlicher Pasquinade und Satire entwickeln soll.
Es ist das zentrale Anliegen des Teilprojekts, solche Techniken der Devaluation als wichtiges Ausdrucksmittel ästhetischer Autonomisierungs- und Modernisierungsdiskurse zu verstehen und sie im Sinne von Metamalerei als einen visuellen Beitrag zur querelle des anciens et des modernes zu deuten. Denn mit der Desavouierung eines bestehenden Kanons geht eine generelle Kritik an geltenden Kunstnormen einher.
Die Anfänge kunstimmanenten Parodierens können bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden, als unter dem Pontifikat Julius’ II. zum ersten Mal ein in ganz Europa propagierter Kanon entstand. Er umfasst Werke der römischen Antike, aber auch die Arbeiten zeitgenössischer Meister wie Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle oder Raffaels Stanzen. Dieser Kanon und seine internationale Verbreitung durch Reproduktionsstiche machte Parodien überhaupt erst möglich, und er hat auch im 18. Jahrhundert seine Verbindlichkeit noch nicht verloren. Dabei erlebte die bildende Kunst im Zuge der Aufklärungsbewegungen einen fundamentalen Wandel: Die Forderung nach einer umfassenden ‚Bilderbildung’ zum Zweck zivilisatorischen Fortschritts ließ die höfische Repräsentationskunst unter Druck geraten. Kunstkritik und Bilddiskurse fanden nun in aller Öffentlichkeit statt und Meinungsbildung wurde wesentlich über druckgraphische Massenbilder betrieben. Nicht selten artikuliert sich in ihnen eine ‚gestochene Kunstkritik‘, wobei der parodistische Angriff eine Steigerung bis zur Pasquinade erfahren kann. Zugleich finden in den Schriften der Aufklärer erstmals theoretische Reflexionen über das intermediale Verhältnis von Parodie, Karikatur und Satire statt.
Dieser Entwicklung ist Rechnung zu tragen, will man sich Gestalt und Genese parodistischer Kunst in Malerei und Graphik vor Augen führen. Untersucht werden mithin Parodien auf Werke von Michelangelo, Raffael, Dürer und der Antike, durch Parodien und Pasquinaden ausgetragene Konflikte sowie das Verhältnis von Parodie und Karikatur in der veränderten Kunstlandschaft des 18. Jahrhunderts. Über Vergleiche zwischen bildlichen und literarischen Formen des Schmähens sollen überdies medienspezifische Ausprägungen von Invektivität herausgearbeitet werden. Das Teilprojekt verfolgt damit ein doppeltes Erkenntnisinteresse: Es untersucht invektive Ausdrucksformen bildkünstlerischer Verfahren und will zugleich jenen Prozess in den Blick nehmen, der das Invektive zum Motor einer auf Originalität und Autonomie hin ausgerichteten Kunst macht.