Diskriminierung sichtbar machen - Interview mit Anja Wiede
Liebe Anja, schön, dass du heute bei uns bist und dir die Zeit nimmst mit mir über Möglichkeiten der Meldung/Beschwerde/des Sichtbarmachens von Diskriminierung zu sprechen und natürlich auch über die Unterstützungsangebote an der TU Dresden für die Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt. Ich denke, dass es für die betroffenen Personen nicht leicht ist, davon zu berichten, durch wen sie wie Benachteiligung erfahren? Oft spielt die Frage dabei mit, in welcher Position man sich befindet, oder?
Für viele ist es schon schwierig, zu erkennen, dass sie überhaupt benachteiligt werden. Manches scheint so normal, dass vieles nicht in Frage gestellt wird. Man kann leicht testen, ob ein Verhalten diskriminierend ist. Würde die vorgesetzte Person z.B. auch den männlichen Kollegen für seine schöne Bluse loben. Fällt die Antwort nein aus, dann könnte man von einer ungleichen Behandlung auf Grund des Geschlechtes ausgehen.
Ob und wie man es dann anspricht, hängt von vielem ab: der eigenen Selbstsicherheit und Gewissheit über die Situation; vertraue ich darauf, dass etwas passiert, wenn ich es teile; weiß ich, wo ich mich hinwenden kann. Es stimmt natürlich auch, dass die eigene Stellung bzw. Positionierung beeinflusst, ob ich etwas sage. Hier spielen bestimmte Machtasymmetrien eine Rolle, die Beziehungen beeinflussen. Bin ich neu im Team, bin ich die einzige nicht-binäre Person, komme ich aus dem Ausland. Geht die Diskriminierung dann von einer mir vorgesetzten Person aus, gestaltet sich die Angst vor Repression natürlich noch einmal anders.
Dabei muss man allerdings unterscheiden: nicht jede Benachteiligung ist auch gleich eine Diskriminierung im definitorischen Sinne. Eine Diskriminierung bezieht sich auf eine Benachteiligung auf Grund eines (zugeschriebenen) Merkmals wie das Geschlecht, Alter oder Religion. Auch rassistische Zuschreibungen, die eine Benachteiligung begründen, sind diskriminierend.
Wenn ich mich aufgrund von Zuschreibung anderer diskminiert fühle: Was kann ich in so einer Situation tun?
Zu aller erst ist es wichtig, das Gefühl nicht zu bagatellisieren. Am besten teilt man es erstmal mit Freund:innen und Familie. Das ist die erste emotionale Entlastung.
Dann ist es sinnvoll das Vorkommnis zu dokumentieren. Was ist wann, wie, wo, durch wen passiert. Wer hat es ggf. beobachtet. Welchen Schaden habe ich dadurch erlitten. Sollten sich dauerhaft diskriminierende Verhaltensweisen nachzeichnen, lohnt es, hierfür ein Tagebuch anzufertigen.
Um sich rück zu versichern, ob ein bestimmtes Verhalten diskriminierend ist, kann man sich bei verschiedenen Beratungsstrukturen wie der Beschwerdestelle, dem Personalrat oder der Schwerbehindertenvertretung melden. Wie folgend damit umgegangen wird, wird dann gemeinsam besprochen und nicht über den Kopf der Betroffenen hinweg entschieden. Jede Meldung ist sehr willkommen, um ein besseres Klima für alle zu schaffen. Man denkt dabei die (noch) unbekannten Betroffenen mit. Auch das Antidiskriminierungsbüro Dresden berät zum angemessenen Verfahren.
Diskriminierung geschieht oftmals unbewusst und nicht böswillig, so dass hier die beste Entschuldigung geändertes Verhalten der diskriminierenden Person ist. Wer sich dazu in der Lage sieht, kann die diskriminierende Person deshalb mit dem Erlebnis konfrontieren. Die Konfrontation kann persönlich im Gespräch, aber auch schriftlich passieren. Natürlich unterstützen dabei auch die bereits benannten Beratungsstrukturen. Auch die vorgesetzte Person kann diese Konfrontation übernehmen, insofern sie in Kenntnis gesetzt wurde. Vorgesetzte agieren dabei im Sinne ihrer Fürsorgeverantwortung.
Arbeitnehmende, die diskriminiert wurden, haben gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verschiedene Rechte, z.B. das Recht auf Entschädigung oder das Beschwerderecht. Letzteres ist auch in der Richtlinie zum Umgang mit Belästigung, Diskriminierung und Gewalt festgeschrieben.
Und auf welchen Support kann ich von Seiten der TU Dresden setzen?
Die TU Dresden setzt sich aktiv gegen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt ein. Das geschieht durch eine klare Haltung, durch den transparenten Umgang mit Fällen und der systematischen Erfassung des Problem. Erst dieses Jahr gab es eine Befragung zum Diskriminierungserleben.
Die TU Dresden hat vielerlei Unterstützungsmöglichkeiten, z.B. durch verschiedene Beratungsangebote. Er gibt Beauftragte, wie die Gleichstellungsbeauftragten der Fakultät oder den psychologischen Gesundheitsdienst. Diese werden auch stetig weitergebildet, so dass man einen professionellen Umgang erwarten kann. Ich z.B. wurde eben als Fachkraft zu sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz ausgebildet. Es wurde auch das BKMS-Hinweissystem eingeführt, damit Betroffene auch völlig anonym Meldungen senden können.
Darüber hinaus bietet die TU Dresden verschiedene Empowerment-Angebote, um Personen darin zu bestärken eigene Grenzen zu setzen und Diskriminierung zu benennen. Im November wird es wieder Selbstbehauptungskurse für Frauen geben im Rahmen des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen.
Und was kann ich tun, wenn ich Diskriminierung beobachte, im Kollegium, in Lehrveranstaltungen oder allgemein auf dem Campus? Oder vielleicht auch die zweite Frage hinterher: Muss ich was tun?
Fakt ist, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt geschehen nie im luftleeren Raum. Solche Verhaltensweisen sind immer vom gemeinschaftlichen Kontext gerahmt, weshalb wir alle dafür Sorge tragen, dass Räume so diskriminierungsarm wie möglich sind. Letztlich ist es ungerecht, wenn die Verantwortung, dass sich etwas ändert, nur bei den Betroffenen liegt.
Jede Person, egal ob Studentin, technischer Mitarbeiter oder Professor:in, kann unter Umständen von Diskriminierung betroffen sein. Jede Person kann deshalb selbst überlegen, ob sie sich dann Unterstützung durch andere wünscht. Wahrscheinlich schon. Die Frage ist also nicht, muss ich etwas tun, sondern will ich etwas tun. Will ich etwas tun, unterstützt die TU Dresden mit Sensibilisierungsformaten wie "Bringing in the bystander" oder „How to be an ally".
In den letzten Jahren hat die TU Dresden viel investiert, um Erfahrungen mit Belästigung, Diskriminierung und Gewalt möglichst zu verhindern. Was wäre der nächste wichtige Schritt der TU Dresden aus deiner Sicht, um Diskriminierung im Hochschulalltag und auf dem Campus zu bekämpfen? Gibt es etwas, dass du dir wünschst?
Die Uni hat in den letzten Jahren wirklich viel strukturell geschaffen: es gibt u.a. das Prorektorat Universitätskultur, das Antidiskriminierung als strategisches Ziel ausmacht, die Beschwerdestelle bei Vorkommnissen von Belästigung, Diskriminierung und Gewalt wurde verstetigt, das Compliance Management wurde eingeführt, es gibt Führungsleitlinien, die den Diskriminierungsschutz benennen. Das alles bezieht sich vornehmlich auf den Umgang mit individuellen Diskriminierungserlebnissen. Ein systematischer Blick auf die strukturelle Diskriminierungsdimensionen wäre toll. Damit meine ich z.B. den Blick auf Gremiensitzungen. Finden diese vornehmlich auf Deutsch statt, ist die Repräsentanz von internationalen Personen eher gering. Gleichzeitig würde es sich lohnen, zu analysieren, weshalb in der Universitätsverwaltung z.B. nur wenig Menschen mit Rassismus-Erfahrungen arbeiten.
Generell würde ich mir wünschen, dass das Verständnis und die Legitimierung von Antidiskriminierung zur Grundhaltung wird, es steht ja auch im Grundgesetz. Antidiskriminierung ist also nicht „woke“, übertrieben oder eine Nebensache, sondern verfassungsmäßige Selbstverständlichkeit.
Das Interview führte Kathrin Müller vom Zentrum für Weiterbildung am 10.09.2024