Die Methode der generalisierten Einflussfunktionen – Adjungierte Sensitivitätsanalyse für den effektiv und effizient numerischen Entwurf von Strukturen mit spezieller Anwendung für Zuverlässigkeits- und Unschärfe-Modellierung
Eine Weiterführung des Themas findet aktuell in der zweiten Bearbeitungsphase statt.
Sensitivitätsanalyse behandelt die Effekte von variierten Input-Parametern auf die Variation von Output-Parametern für jede Art von System und Modell. Sie ist ein wichtiger Teil der Systemtheorie. In Hinblick auf das SPP sind folgende zwei Aspekte der Sensitivitätsanalyse wichtig: (i) die Bedeutung von Parametern im Modellierungsprozess zu identifizieren und zu quantifizieren und (ii) den Effekt einer Modifikation dieser Parameter für den numerischen Entwurf und die Optimierung von Strukturen zu untersuchen und zu quantifizieren. Beide Aspekte können auch bei Vorhandensein von Unschärfe behandelt werden. Es existiert eine enorme Menge an Arbeiten über beinahe alle Themen der Sensitivitätsanalyse. Methodisch ist ein dritter Aspekt zu betrachten, welcher sich auf die adjungierte Variante der Sensitivitätsanalyse bezieht, welche ebenso gut eingeführt und verstanden ist. Die adjungierte Sensitivitätsanalyse scheint identisch mit Green’s Methode, auch als Methode der Einflussfunktionen (oder Einflusslinien für Balken als spezielle Struktur) bekannt, zu sein. Bisher gibt es nur wenige Arbeiten über diesen letzten Punkt und noch weniger, die eine Verknüpfung zu den zwei ersten Aspekten herstellen.
Das Ziel des Projekts ist es die Methode der generalisierten Einflussfunktionen als praktisch relevantes Mittel zur Bestimmung und Analyse der Sensitivität von Strukturen im Hinblick auf verschiedenste Entwurfs- und Modellierungsparameter zu entwickeln. Im Speziellen soll die Zuverlässigkeits- und Unschärfeanalyse mit Sensitivitätsinformation und einer detaillierten Analyse der Fehlerfortpflanzung unterstützt werden. Die theoretische Basis ist die Übereinstimmung der Methode der Einflussfunktionen mit der adjungierten Sensitivitätsanalyse. Zwei innovative Aspekte sind hervorzuheben: (i) Die traditionelle Technik der Einflussfunktionen, ursprünglich für die Analyse von Verformungen und Schnittgrößen unter veränderlichen Lasten entwickelt, wird für die moderne numerische Analyse generalisiert – für jede Art von Strukturen, jede Art von Antwortgrößen (auch andere als Verformungen und Schnittgrößen) und jede Art von Parametern (auch andere als Lastangriffspunkt und Intensität). (ii) Die Methode liefert die Sensitivitätsinformation für räumlich verteilte Parameter mit dem Aufwand nur einer zusätzlichen Berechnung.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Forschungsarbeiten der ersten Förderphase haben sich schwerpunktmäßig mit dem Zusammenhang zwischen adjungierter Sensitivitätsanalyse und der Technik der Einflussfunktionen (Allgemeinbegriff für Einflusslinien bzw. -flächen) auseinandergesetzt. Aufbauend über das Wissen hinsichtlich der Äquivalenz zwischen der adjungierten Variable – einem Zwischenergebnis der adjungierten Sensitivitätsanalyse – und der Einflussfunktion, kann die Technik der Einflussfunktionen für verschiedene Antwortgrößen, Parameter, Strukturen und Analyseformen (z.B. geometrisch nichtlinear) generalisiert werden. Das Resultat dieser Generalisierung ist ein Ingenieurwerkzeug zur numerischen Bestimmung von Sensitivitäten.
Im Rahmen der Generalisierung wurden die drei Hauptbestandteile der adjungierten Sensitivitätsanalyse für baupraktisch relevante Antwortgrößen und Parameter eingehend analysiert und interpretiert. Zur Untersuchung des Parametereinflusses – in diskreter Formulierung beschrieben durch die sog. Pseudo-Last – wurde die formale Äquivalenz zwischen virtueller Arbeit und adjungierter Arbeit, welche von den Pseudo-Lasten auf der Einflussfunktion verrichtet wird, verwendet. Dabei wurde festgestellt, dass der Parametereinfluss im Rahmen der adjungierten Sensitivitätsanalyse als Kraft- bzw. Spannungsgröße gedeutet werden kann, welche auf der energetisch konjugierten Weg- bzw. Verzerrungsgröße der Einflussfunktionen Arbeit verrichtet. Während die klassische Technik auf das energetische konjugierte Paar aus Verschiebung und Kraftgröße beschränkt ist, müssen somit für verallgemeinerte Sensitivitätsanalysen weitere Feldgrößen ergänzt werden. Im Falle eines Biegebalkens handelt es sich hierbei bspw. um die Krümmung der Einflussfunktion, welche den Einfluss der Antwortgröße beschreibt, und um eine Pseudo-Momentengröße, die wiederum den Parametereinfluss widerspiegelt. Eine weitere Erkenntnis aus der Analyse der Bestandteile der Sensitivitätsgleichung ist, dass für manche Antwortgrößen die adjungierte Variable zur Erzeugung der Einflussfunktion nicht ausreicht. So konnte bspw. gezeigt werden, wie sich im Falle von Schnitt- und Auflagerkräften das korrespondierende kontinuierliche adjungierte Verschiebungsfeld um die charakteristische Diskontinuität (z.B. Knick oder Sprung) durch andere Bestandteile der Sensitivitätsgleichung ergänzen lässt. Der Zusammenhang zwischen adjungierter Sensitivitätsanalyse und Einflussfunktionen beschränkt sich somit nicht nur auf die adjungierte Variable.
Ein Vorzug der klassischen Technik der Einflussfunktionen ist es, Systemverständnis in visueller Form zu vermitteln. Dieser Aspekt wurde auch für die Methode der verallgemeinerten Einflussfunktionen umgesetzt, indem Darstellungsmöglichkeiten für die räumliche Verteilung der Sensitivitäten sowie für dessen Zustandekommen entwickelt wurden. In Abbildung 1 kann damit bspw. die Sensitivitätsanalyse der Normalkraft im Brückenlängsträger nach dem E-Modul der einzelnen Stahlträger detailliert graphisch nachvollzogen werden.
Des Weiteren wurden Möglichkeiten zum Einsatz der Methode der verallgemeinerten Einflussfunktionen im Rahmen von Unschärfeanalysen erprobt. Durch die mechanische Interpretierbarkeit der Bestandteile der Sensitivität kann so z.B. während der Berechnung von Gradienten-basierten globalen Sensitivitätsmaßen nachverfolgt werden, wie sich Parametervariationen konkret im mechanischen System auswirken und wie sich dies wiederum auf die globalen Sensitivitätsmaße niederschlägt.
Wesentliche Projektresultate
- Theoretische Entwicklung der Methode der verallgemeinerten Einflussfunktionen für lokale Sensitivitäten 1. Ordnung
- Bestimmung von adjungierten Feldern, Pseudo-Lasten, Sensitivitätskarten, diskret und kontinuierlich für viele verschiedene Parameter und Antwortfunktionen
- Implementierung der Methode in KRATOS Multiphysics (Open-Source-Lizenz)
- Entwicklung einer Python-Schnittstelle, zur Bereitstellung von Sensitivitäten in anderen Programmen, die von anderen Gruppen des SPP verwendet werden kann
- Entwicklung von Visualisierungswerkzeugen und erste Schritte zur praxisrelevanten Nutzung von Sensitivitätsdaten als Zusatzinformationen im Ingenieurentwurf
- Singulärwertzerlegung der Gradienteninformation für effektives Designupdate; spezielle Anwendung zur Aktualisierung des Designs unter Nebenbedingungen und zur Strukturoptimierung
- Anwendung verallgemeinerter Einflussfunktionen im Rahmen von Unschärfeanalysen
Fußeder, Martin; Wüchner, Roland; Bletzinger, Kai-Uwe: The Method of Generalized Influence Functions – Adjoint Sensitivity Analysis for the Numerical Design of Structures Under Uncertainty. 14th Virtual Congress WCCM & ECCOMAS 2020, 2021
Fußeder, Martin; Wüchner, Roland; Bletzinger, Kai-Uwe. (2021). Sensitivitätsanalyse mit verallgemeinerten Einflussfunktionen zur Tragwerksbewertung bei Modellparametervariationen/Sensitivity analysis with generalized influence functions for the treatment of model parameter variations in structural analysis. Bauingenieur. 96. 191-200. 10.37544/0005-6650-2021-06-33.