Untersuchungen zu Raum- und Habitatnutzung des Schwarzwildes (Sus scrofa) in Südwest-Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung des Bejagungseinflusses und der Rolle älterer Stücke in den Rotten
Projektleiter: Herr Dipl.-Ing. Forstwirtschaft Norman Stier
Projektmitarbeiter: Herr Dipl.-Biol. Oliver Keuling, Herr Dipl.-Ing. Forstwirtschaft Norman Stier
Laufzeit: 2002 - 2006 Freilandarbeiten (Auswertung noch nicht abgeschlossen)
Auftraggeber / Finanzierung: Oberste Jagdbehörde im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern (Jagdabgabe), Stiftung „ Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern“
Schlagworte: Wildschwein, Sus scrofa, Telemetrie, Raumnutzung, Habitatnutzung, Bejagungseinfluss
Projektbeschreibung:
Ziel des Projekts war es mittels Radiotelemetrie, Video- und Direktbeobachtungen sowie Streckenauswertungen und Rückmeldedaten Erkenntnisse zu Sozialverhalten sowie Raum- und Habitatnutzung unter Berücksichtigung von Bejagungseinflüssen zu gewinnen, um hieraus Bejagungsempfehlungen entwickeln zu können.
Das ca. 200 km² große Untersuchungsgebiet im südwestlichen Mecklenburg-Vorpommern liegt innerhalb der Flächen des Forstamtes Schildfeld ca. 70 km östlich von Hamburg. Die eiszeitlich geformte Landschaft ist geprägt von Land- und Forstwirtschaft kombiniert mit einer für Deutschland geringen menschlichen Siedlungsdichte. Im Untersuchungsgebiet kommen als weitere Schalenwildarten hauptsächlich Damwild (Cervus dama) sowie Rotwild (Cervus elaphus) und Rehwild (Capreolus capreolus) vor. Die Jahresstrecke an Schwarzwild ist im Untersuchungsgebiet seit dem Jagdjahr 1999/2000 von 2,83 Stück/100 ha auf 5,13 Stück/100 ha im Jagdjahr 2005/06 gestiegen.
Ergebnisse:
Insgesamt wurden 152 Wildsschweine (76 Frischlingskeiler, 67 Frischlingsbachen, 9 Bachen) gefangen und markiert, von denen 79 Tiere (davon 11 Frischlingskeiler) mit Ohrmarkensendern ausgestattet wurden.
Es wurden 105 Tiere mit Informationen über Ort sowie Datum und Zeit der Erlegung bzw. Todfund zurückgemeldet. Nur 16,7 % der zurückgemeldeten Tiere wurden außerhalb ihres Mutterstreifgebietes erlegt, lediglich 4 % aller Tiere wanderten weiter als 10 km (184m – 41,5 km). Die Entfernung zwischen Fang- und Erlegungsort war bei den Keilern mit im Mittel 3,8 km gut doppelt so groß wie bei den Bachen mit 1,4 km.
Die mittleren Jahresstreifgebiete der Überläuferbachen (MCP: 1200 ha) waren bei einer sehr breiten Streuung nur tendenziell größer als die der Familienverbände (MCP: 770 ha). Auch das saisonale Raumnutzungsverhalten ähnelte sich zwischen den beiden Altersklassen, mit einer leichten Tendenz zu größeren Sommer-Streifgebieten der Überläuferbachen. Im Mittel aller Rotten war der saisonale MCP-Aktionsraum 430 ha groß. Im Winter und Frühjahr bewegte sich das weibliche Schwarzwild besonders kleinräumig und standorttreu. Die stärkere Streifgebietsnutzung und Verlagerung junger Bachen spiegelt einen Dispersionsmechanismus dieser Art wider. Die starken Überschneidungen benachbarter Rottenstreifgebiete konnten bisher mittels genetischer Verwandtschaftsanalysen nicht auf nahe verwandte Tiere zurückgeführt werden. Territorialität kann also nicht vermutet werden. Vielmehr zeigte sich, dass innerhalb der Rotten einige nicht verwandte Tiere vorkommen. Die Gründe hierfür sind bisher noch nicht geklärt.
Temporäre Trennungen der Rotten konnten regelmäßig beobachtet werden, wobei sich Überläuferrotten deutlich seltener trennten als Familienrotten. Einige Tiere innerhalb einer Rotte waren enger miteinander assoziiert als mit anderen, wobei Trennungen in allen möglichen Konstellationen auftraten. Es konnten vier Trennungstypen charakterisiert werden: temporäre Trennungen: I) kurzzeitig-lokale Trennung, II) kurzzeitig-extensive Trennung, III) längerfristig-extensive Trennung; sowie IV) finale Teilung. Temporäre und finale Trennungen scheinen regelmäßige Verhaltensmuster zur Vermeidung intrafamilärer Konkurrenz darzustellen.
Die verschiedenen Rotten zeigten insgesamt individuelle Habitatpräferenzen. Als Tageseinstände wurden Waldbestände mit Fichtenanteilen ganzjährig bevorzugt, Offenland jedoch gemieden. Im Sommer hielten sich die Sauen Tags wie nachts jedoch gerne in Raps und Weizen auf. Wetter hatte nur einen geringen Einfluss auf die Habitatwahl, lediglich die Habitatkategorie „Buchenbestände“ wurde bei kaltem Schneewetter gemieden. Es waren kaum Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern in Raum und Habitatnutzung zu erkennen.
Mittels Videobeobachtungen stellte sich heraus, dass Schwarzwild im Winter und Frühjahr vorwiegend in der ersten Nachthälfte an den Kirrungen erscheint. Die beobachtete Suhle wurde in allen Nachtquartalen zu gleichen Teilen belaufen, mit einer leichten Tendenz zur Bevorzugung der zweiten Nachthälfte. Weitere interessante Aspekte des Verhaltens und der Rottenhierarchien konnten erstmalig im Freiland mittels Ethogrammen durch Videoüberwachung analysiert werden. So spielt z.B. das Aggressionsverhalten eine entscheidende Rolle in der Rottenhierarchie. Es war nur ein geringer Einfluss der Bejagung auf Anwesenheit und Verhalten an der bejagten Kirrung im Vergleich zu den unbejagten Kirrungen zu beobachten.
Die langen Nächte im Winter ermöglichen es den Sauen die ganze Nacht aktiv zu sein, ohne den Tag nutzen zu müssen. Im Frühsommer haben die Bachen einen erhöhten Energiebedarf zum Säugen der Frischlinge, was zu erhöhter Tagaktivität führt. Ruhige Habitate in größerer Entfernung zu menschlichen Strukturen führen ebenfalls zu erhöhter Tagaktivität. Unterschiedliche Bejagungsmethoden hatten keinen deutlichen Einfluss auf Tagaktivität und Streifgebietsgrößen. Fang und Einzeljagd bewirkten Störungen, die sich in größeren Distanzen der Tageseinstände zu dem Störungsort ausdrücken. Jedoch liegen diese Distanzen innerhalb der saisonalen Streifgebiete. Der Einfluss der Bejagung scheint eher gering zu sein und wird von anderen saisonalen Faktoren überlagert. Schwarzwild kehrt schon nach kurzer Zeit an bejagte Kirrungen zurück.
Drückjagden beeinflussen die Raumnutzung kaum, die Streifgebiete der bejagten Rotten waren vor und nach den Drückjagden ähnlich, ebenso die der unbejagten Kontrollstichprobe. Durch Drückjagden besteht keine gesteigerte Übertragungswahrscheinlichkeit von Wildseuchen. Als einziges Mittel zur Minimierung von Epidemien beim Schwarzwild bleibt die Reduktion der teilweise sehr hohen Bestände. Streifgebietsveränderungen müssen vor allem saisonalen Einflüssen zugeschrieben werden, wie Witterung, Nahrungsangebot, veränderte Bedürfnisse etc.
Schwarzwild-Rotten reagieren in Raum- und Habitatnutzung, Aktivitäten und Sozialverhalten flexibel und individuell auf viele Einflussfaktoren wie Verfügbarkeit der Ressourcen (z.B. Nahrung, Wasser, Deckung), Populationsparameter (z.B. Dichte, Rottengröße, Alter, Geschlechterverhältnis), wie auch auf Störungen (z.B. Land- und Forstwirtschaft, Erholungssuchende, Jagd oder Prädation).
Revierübergreifend angewendete kombinierte Bejagungsmethoden scheinen notwendig um die Schwarzwildbestände konsequent zu regulieren, hierdurch wird keine weitere Änderung des Verhaltens bedingt. Auch Bachenbejagung ist zwingend erforderlich und möglich, wie unsere Untersuchungen genauso wie aktuelle Untersuchungen aus ganz Europa zeigen. Drückjagden sollten den örtlichen Gegebenheiten der Habitat- und Geländestruktur und des Bestandes der verschiedenen Hochwildarten angepasst werden, wobei eine Zusammenarbeit der Reviere wichtig ist.
Weitere Details sind dem Abschlussbericht, den Publikationen und Diplom-/ Doktorarbeiten zu entnehmen.
Wir danken den Geldgebern und allen Beteiligten vor Ort für ihre Mithilfe.
Veröffentlichungen:
Poster
Ihde J, Keuling O, Stier N, Roth M (2005) Nocturnal movements of wild boar (Sus scrofa) groups with respect to group divisions. in "79. Jahrestagung der DGS", abstracts. Mamm Biology Suppl 70:19
Keuling O, Stier N, Roth M (2005) How does hunting affect the spatial utilisation of wild boar Sus scrofa L.? in "79. Jahrestagung der DGS". Abstracts. Mamm Biology Suppl 70:21-22
Keuling O, Stier N, Roth M (2005) Does hunting affect the spatial utilisation of wild boar Sus scrofa L.? in XXVIIth Congress of IUGB, 28. Aug.-3. Sept. Extended abstracts:379-380
Lauterbach K, Keuling O, Stier N, Roth M (2006) Do all male wild boar yearlings Sus scrofa L. leave home? In: Sixth international symposium on wild boar (Sus scrofa) and on sub-order Suiformes, Kykkos, Cyprus, October 26-28 2006, abstracts:48
Diplomarbeiten
LAMPE T (2004) Wie Sau sich bettet - Über die Wahl der Schlafplätze bei Wildschweinen (Sus scrofa). Diplomarbeit Institut für Verhaltensforschung, Fakultät für Biologie Universität Bielefeld:77 S.
IHDE J (2004) Untersuchung zu Streifgebieten und nächtlichen Bewegungen des Schwarzwildes (Sus scrofa L.) in Südwest-Mecklenburg. Diplomarbeit Fakultät Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften, Technische Universität Dresden:100 S.
LAUTERBACH K (2007) Untersuchungen zum Dispersionsverhalten des Schwarzwildes (Sus scrofa L.) in Südwest-Mecklenburg. Diplomarbeit Fakultät Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften, Technische Universität Dresden:73 S.
SAEBEL J (2007) Verhaltensbeobachtungen am Schwarzwild (Sus scrofa L.) durch Videoüberwachung und Radiotelemetrie. Diplomarbeit Fakultät Forst-, Geo- und Hydrowissenschaften, Technische Universität Dresden:81 S.
Berichte
Stier N, Keuling O (2003) Untersuchungen zur Raumnutzung des Schwarzwildes in Südwest-Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung des Bejagungseinflusses und der Rolle älterer Stücke in den Rotten. TU Dresden Forstzoologie
Stier N, Keuling O (2004) Untersuchungen zur Raumnutzung des Schwarzwildes in Südwest-Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung des Bejagungseinflusses und der Rolle älterer Stücke in den Rotten. TU Dresden Forstzoologie
Stier N, Keuling O (2005) Untersuchungen zur Raumnutzung des Schwarzwildes in Südwest-Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung des Bejagungseinflusses und der Rolle älterer Stücke in den Rotten. TU Dresden Forstzoologie
Stier N, Keuling O (2006) Untersuchungen zur Raumnutzung des Schwarzwildes in Südwest-Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung des Bejagungseinflusses und der Rolle älterer Stücke in den Rotten. TU Dresden Forstzoologie
Keuling O, Stier N, Ihde J, Lampe T, Lauterbach K, Saebel J (2009) Schwarzwild - Untersuchungen zu Raum- und Habitatnutzung des Schwarzwildes (Sus scrofa L. 1758) in Südwest-Mecklenburg unter besonderer Berücksichtigung des Bejagungseinflusses und der Rolle älterer Stücke in den Rotten. Abschlussbericht 2002-2006 an die Oberste Jagdbehörde im Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern und die Stiftung „Wald und Wild in Mecklenburg-Vorpommern“ ca. 120 S.
>>>Kurzfassung Abschlussbericht
Jagdpresse
KEULING O & STIER N (2004) Wilde Sauen an der unsichtbaren Leine. Die Pirsch 12:4-9
Außerdem wurde das Projekt neben anderen Projekten in folgenden Artikeln vorgestellt:
JUNKER E (2004) Sauen ohne Ende. Niedersächsischer Jäger 20: 12-15.
JUNKER E (2005) Mobil aber standorttreu. Unsere Jagd 1: 14-17.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen:
KEULING O, STIER N, ROTH M (2008) Annual and seasonal space use of different age classes of female wild boar Sus scrofa L. Eur J Wildl Res 54:403-412
KEULING O, STIER N, ROTH M (2008) Commuting, shifting or remaining? Different spatial usage patterns of wild boar Sus scrofa L. in forest and field crops during summer. Mamm Biol - online first doi:10.1016/j.mambio.2008.05.007
KEULING O, STIER N, ROTH M (2008) How does hunting influence activity and space use in wild boar Sus scrofa. Eur J Wildl Res - 54 (4): 729-737
Keuling O, Lampe T, Stier N, Roth M (2008) Where to sleep and why? Factors influencing daytime resting places of wild boar. J Wild Res 3: in press