Interview mit Marvin Zehner
Mein Gebärdenname kommt von meinem Bart und ich kratze da gerne so, als wäre ich der mafiöse Pate.
Damit kontere ich mit einer Gegenfrage: wie lange braucht man, um die englische Sprache so gut beherrschen zu können, dass man sich mit anderen unterhalten kann?
Richtig, das braucht viel Übung und Lernzeit. Gleichzeitig ist man nie zu alt, um etwas zu lernen.
Dennoch kann man in der Gebärdensprache auch mit wenig Wörtern anfangen, in den Kontakt zu Gehörlosen treten und früh mit ihnen kommunizieren, weil sie im Gegensatz zu anderen Sprachen sehr bildhaft ist. In der Interaktion, in der man die Sprache anwendet, lernt man die Sprache einfach besser. Wer keine Kontakte hat, kann sich einen Gebärdensprachkurs oder einen Gebärdenstammtisch (wenn vorhanden) aufsuchen.
Die Gebärdensprache ist anders als die auditiven Sprachen rein visuell und dreidimensional. Wir verwenden also auch einen Gebärdenraum, um z.B. Dinge Handlungsabläufe sehr präzise beschreiben zu können. Manches davon lässt sich sehr schwer so in Lautsprachen übersetzen.
Außerdem können hierbei Informationen nicht nur nacheinander angereiht erzählt werden, sondern auch gleichzeitig vermittelt werden, also simultan. Das bedeutet, dass ich mehrere Informationen gleichzeitig liefern kann, z.B. über die Mimik kann ich Fragesätze signalisieren, oder Bestätigungen bzw. Verneinungen. Mit zwei Händen kann ich unabhängig voneinander mittels den Gebärdenraum außerdem Personen verorten und darauf beziehen. Somit hat die Gebärdensprache auch: Subjekt Objekt Verb-Satzstruktur (anders als die deutsche Lautsprache mit der Subjekt-Verb-Objekt-Satzstruktur). Wenn ich die Mimik und die Hände so wie oben beschrieben gleichzeitig ausdrücke, dann muss man sowohl auf die Hände als auch auf das Gesicht schauen und dabei den Gebärdenraum im Kopf behalten.
Von außen wirkt die Gebärdensprache so „einfach“ oder „emotionsstark“, weil man sich nur die einzelnen Handbewegungen oder nur die Mimik sieht. Das ist nicht das Fall, sondern sie weist die gleiche Komplexität wie andere Sprache auf.
Ja und nein. Jedes Land hat ihre eigene Gebärdensprache, wie alle Lautsprachen es auch haben. Also sind die Gebärdensprachen in den unterschiedlichen Ländern unterschiedlich.
Trotzdem können sich zwei Gehörlose aus unterschiedlichen Ländern untereinander gut interagieren, denn sie können für alle klar und eindeutig Sachverhalte fast „pantomimisch“ darstellen und darüber Gespräche führen, z.B. einzelne Handlungen wie ESSEN und TRINKEN können sehr bildhaft dargestellt werden und können international weit angewendet werden.
Wenn die Gehörlose sogar die Internationale Gebärden beherrschen, können sie sogar tiefergehende Gespräche führen. Nicht jeder Gehörlose beherrscht sie automatisch.
Je nachdem welche Abschlüsse man in Deutschland erzielt, lernen wir auch eine oder mehrere Fremdsprachen.
Besuchen Gehörlose eine reguläre Schule (in Begleitung einer:s Dolmetscher:in) unter den „normal-hörenden“ Menschen, dann lernen sie auch die gleiche Anzahl an Fremdsprachen wie alle anderen. Das Lernen ist für uns nicht einfach, weil z.B. der:die Dolmetscher:in aufgrund finanzieller Barrieren nicht durchgehend besetzt wird oder das pädagogische Personal nicht das sonderpädagogische Hintergrundwissen mitbringen, um z.B. ihr Unterricht an unseren visuelle Lernbedürfnissen adäquat anpassen zu können. Selbst beim Vorhandensein eine:r Dolmetscher:in heißt es nicht, dass sie eine entsprechend adäquate Fremdsprache für die Gehörlosen (z.B. Amerikanische Gebärdensprache) beherrscht und diese professionell übersetzen kann. Häufig werden wir hier an mehreren Stellen benachteiligt und erhalten nicht den gleichen schönen Zugang zur Fremdsprache wie es „Hörende“ haben.
Ganz selten wird an einigen Förderschulen für Hörbehinderte die amerikanische Gebärdensprache als „Fremdsprache“ angeboten. Diese „Fremdgebärdensprache“ wäre für uns optimal, da sie für uns auch visuell zugänglich ist und eine direkte Kommunikation mit dem Lehrer möglich ist.
Die Nachfragen nach gutem Fremdsprach-Unterricht für Gehörlose nimmt derzeit immer mehr zu, jedoch fehlen oft hier die entsprechenden Kompetenzen und das Kennen der Lernbedürfnisse von Gehörlosen. Somit ist die Antwort hierzu gerade nicht sehr rosig.
Gegenfrage: Träumen „Hörende“ immer nur mit Wörtern?
Also Ja, wir träumen auch stellenweise in Gebärden und wir alle träumen auch unerklärliche Dinge, z.B. schemenhafte Schatten oder Bewegungen oder klare Panorama-Bilder mit einer bestimmten Stimmlage sein, Gedankenbildern oder Gedankensprache. Sogar musikalischer Bass kann auch in Traumwelten eingebaut werden.
Hörende haben oft kein Einblick oder Vorstellung in unserer gehörlosen Welt. Manchmal haben sie sogar falsche Vorstellungen und Vorurteile.
Hier ein kleiner Einblick: Wir Gehörlosen existieren, seit es Menschen gibt. Wir haben jede Epoche der Menschheit (als ungesehene Randgruppe) miterlebt. Wir wollen von den anderen Menschen, also von euch „hörenden“ endlich unseren anerkannten und gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft. Über mehreren tausenden Jahren haben „Hörende“ versucht, uns zum Sprechen therapieren oder sogar zu „reparieren“, die Gebärdensprache zu verbieten, oder sogar in der Euthanasie auszurotten, weil die Gehörlosigkeit (wie andere Behinderungen auch) etwas Negatives und Schlimmes sei. Wir sind gesund, uns fehlt nichts, und sind auch Menschen mit einer eigenen Sprache und Kultur, und können auch alles, was Hörende können, z.B. Tanzen, Studieren, uvm. Von manchen Menschen fühlen wir uns von den hörenden Menschen auditiv diskriminiert und von manchen netten Menschen erfahren wir Unterstützung.
Behinderungen entstehen, dass die Mehrheit dieses „Anders-sein“ nicht besitzen. Ich möchte damit sagen, dass Behinderten kein Defizit sind, sondern bringen nur Herausforderungen in der Interaktion, die die Gesellschaft mit den Individuen gemeinsam meistern muss. Also zusammenarbeiten ist immer einfacher für uns alle. Dass Menschen einfach anders sind und so sind, vermisse ich.
Gerade durch dieses Miteinandersein kommen wir zu dieser Mehrperspektivität und können dadurch interessante Einblicke in die Gebärdensprachwelt bekommen, z.B. Gebärdensprachpoesie.
Wie schon oben erwähnt:
- endlich barrierefreie Gebärdensprache bei allen Medien und Veranstaltungen,
- endlich Anerkennung der Gehörlose Gemeinschaft in der Gesellschaft auf Augenhöhe,
- endlich Umsetzung der UN-BRK und endlich aufhören, nur zu sparen!
- endlich Anerkennung der Gebärdensprache als zweitwichtigste Sprache Deutschlands!
Für uns ist es auch außerdem wichtig, dass die Begriffe Gebärden und Gebärdensprache auch als etwas positives konnotiert wird und nicht mehr, wie aus der Vergangenheit negativ behaftet wird.
Für uns ist es schwer, wenn die Information nur hörbar zugänglich und nicht gebärdensprachlich oder schriftlich möglich sind, z.B. Ärzte, die man nur über Telefonieren erreichen kann und keine Emailadresse oder Dolmetscherdienstprogramme haben.
Für uns sind oft auch Hürden bei den Ämtern gestellt, da die Gebärdensprache bis heute noch nicht die zweitwichtigste Sprache in Deutschland anerkannt ist, so wird oft genug die Kosten für die Dolmetscher:innenkosten nicht bezahlt bzw. übernommen, da sie nicht dafür aufkommen wollen oder die Verantwortung an anderen Ämtern übertragen. Somit wird es oftmals nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend finanziell gestemmt. Gerade kurzfristige Anfragen, Gespräche mit Kollegen oder Lehrkräften oder Angebote sind hier betroffen, z.B. Reden von Politiker:innen, Arztbesuche, uvm. und hier fühlen wir uns ausgeschlossen, da sie oft für Auditive ausgerichtet sind. Besonders in der Corona-Zeit war es wirklich schwierig: Informationen wurden oft auditiv-verbal vermittelt, z.B. Fernseher, Kollegen, Konferenzen, etc., währenddessen im Internet viel Fakenews und wir uns nicht sicher sein konnten, was nun jetzt stimmte.
Die Frage ist zu belächeln, da wie oben schon erwähnt offensichtlich Barrieren vorhanden sind. Wir werden durch diese Barrieren beeinträchtigt, obwohl seit 2008 (UN-BRK) Deutschland sich gesetzlich unterschrieben hat, dass Menschen mit einer Behinderung in der Gesellschaft inkludiert werden sollen, indem sie an Veranstaltungen, am Leben und Gesellschaft teilhaben zu können. Es gibt bis heute noch in der Regel kein Lebensbereich, was für uns wirklich barrierearm oder barrierefrei für alle Gehörlose ist. Alle Lebensbereiche sind in erster Linie der allgemeinen Mehrheit ausgerichtet und berücksichtigen andere Minderheiten nicht. Da wünschen wir uns, dass die Gebärdensprache überall angeboten wird.
Klar, man darf auch nicht vormachen, dass Inklusion nicht billig sein wird und die Regierung soll auch einfach umsetzen, was sie seit 2008 gesetzlich verankert und vorgenommen hat.
Wir empfehlen immer die wöchentlich ausstrahlenden Fernsehbeiträge von „Sehen statt Hören“ zu schauen. Es gibt da unheimlich viele Informationen über die Welt der Gehörlosen.
Alternativ kann man sich im Instagram-Kanal die Gruppe „Hand Drauf“ die wirklich interessant gestalteten Beiträge verfolgen.
Wer sich mit der Gebärdensprache allgemein befassen möchte, empfehlen wir das Handbuch der deutschen Gebärdensprache.
Die Gebärdensprache ist visuelle, schöne Sprache. Wenn man einmal den Knackpunkt beim Lernen der Gebärdensprache überschritten hat, in der man einen Aha Moment hat, und die besonderen Aspekte der Gebärdensprache wirklich verstanden hat, dann will man nicht auf sie verzichten. Denn anders als andere Sprachen ist sie hier ein echter Gewinn, auch für den Alltag, denn sie bietet Vorteile, die die Lautsprache nicht bringen kann, z.B. die visuell-räumliche Vorstellungskraft oder die Simultane Erfassung von Informationen, oder einfach nur unter Wasser oder durch Glasscheiben mit anderen richtig und entspannt unterhalten können. Bestimmt habt ihr diesen „Aha“ Moment in anderen Fremdsprachen erlebt. Das wünsche ich auch für euch in DGS. Also habt Geduld beim Lernen (auch mit sich selbst nicht zu streng sein) und bleibt weiterhin am Ball. Irgendwann kommt der Knackpunkt.