Bäume: Schrecken und Faszination
Großflächige Wälder aus Hartlaubgehölzen bedeckten in der Frühzeit Israels den Libanon und den Antilibanon sowie die Mittelgebirge des Ostjordanlandes, Judas, Samarias und Galiläas. Dabei handelte es sich mancherorts um hohe Baumbestände, an anderen Stellen um eine Hartlaubvegetation aus immergrünen kleinwüchsigen Bäumen und Sträuchern von ca. 4 m Höhe, die sogenannte Macchie.
Im altorientalischen Verständnis stand der Wald als wilde, ungebändigte Natur im klaren Gegensatz zum Kulturland der Gärten. Wie Meer und Wüste galt er als menschenfeindliche Wildnis, die man am besten mied, unfruchtbar (Hos 2,14), tödlich (2Sam 18,8) und meist Sinnbild für eine überhebliche, böse Macht, an der Gott seine Herrlichkeit erweist, indem er sie vernichtet (Ez 21,3). Ein positives Bild hatten die Menschen nur von den lichten Zedernwäldern des Libanon, die sie als Teil der Kulturlandschaft sahen.
Daneben findet man in der Bibel auch einige wenige Texte, die den Wald als Ausdruck der unbegrenzten Schöpferkraft Gottes loben – ungeachtet eines auf den Menschen bezogenen Denkens von nützlich oder schädlich (Ps 104). Besonders die Visionen von einer neuen Welt vereinigen alle Geschöpfe zum Lob Gottes: „Jauchzt, ihr Himmel, denn der Herr hat gehandelt; jubelt, ihr Tiefen der Erde! Brecht in Jubel aus, ihr Berge, ihr Wälder mit all euren Bäumen! Denn der Herr hat Jakob erlöst und an Israel bewiesen, wie herrlich er ist.“ (Jes 44,23).
Hohe und stattliche Bäume, wie die Palästina- Eiche [Quercus coccifera L. ssp. calliprinus (WEBB)BOISS.] oder die Terebinthe (Pistacia terebinthus L. ssp. palaestina BOISS.) markierten besondere Plätze oder erinnerten als Wahrzeichen an denkwürdige Ereignisse. Sie galten als heilige Orte und Orakelstätten (Ri 9, 37), in ihrem Schatten fanden Tote ihre letzte Ruhe (Gen 35,8).
In uralten Bäumen oder Hainen sahen die Menschen zu biblischer Zeit auch Orte der Erscheinung des Göttlichen: Mose begegnet Gott im Dornbusch (Ex 3,1-5), Abrahams Frau Sara erhält in einem Eichenhain Gottes Zusage, sie werde trotz ihres hohen Alters einen Sohn gebären: Isaak, den späteren Stammvater des Volkes Israel (Gen 18,1-15).
Bäume repräsentierten die Gegenwart des Göttlichen als Spender des Lebens. Wo Bäume wachsen, ist Wasser. Wo Wasser ist, besteht auch die Möglichkeit für anderes Leben.
Dass man in Bäumen ein Symbol für das Leben sah, mag auch an dem hohen Alter liegen, das sie nach menschlichen Maßstäben erreichen können.
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch