Maulbeer-Feige: Bescheidenheit
Neben der Echten Feige erwähnt die Bibel eine weitere Feigenart: die Maulbeer-Feige oder Sykomore (Ficus sycomorus L.). Der schlanke Baum wächst bis zu 20 m Höhe heran. In sonnig-heißen Ländern wie Ägypten spendet er auf vielen Dorfplätzen kühlenden Schatten. Die Früchte können mehrmals im Jahr geerntet werden, schmecken jedoch nicht so gut wie Echte Feigen. Vor der Ernte mit einem Messer angeritzt, reifen sie schneller.
Mehr noch als die Frucht schätzten die Ägypter das Holz der Sykomore – verglichen mit Zedernholz ein häufigerer und billigerer Baustoff. Es zu verwenden, zeugte von Bescheidenheit. Seine poröse Struktur macht es außerdem sehr leicht: Es eignete sich bestens für Decken- und Dachkonstruktionen. Noch 400 Jahre nachdem Jerusalem unter König Salomo (ca. 950-930 v. Chr.)seine einflussreichste Epoche und wirtschaftliche Blüte erlebt hatte, schwärmte ein „Chronist“ vom Reichtum der Stadt: „Der König machte das Silber in Jerusalem so häufig wie die Steine und die Zedern so zahlreich wie die Maulbeer-Feigenbäume in der Schefela.“ (1Kön 10,27).
In Ägypten galt die Sykomore als heiliger Baum. Sie war Symbol und Sitz von Göttinnen, von denen man glaubte, dass sie den Menschen noch im Totenreich Schatten, Nahrung und Wasser spendeten. Nach der altägyptischen Himmelsvorstellung flankierten zwei Sykomoren das Horizonttor im Osten, wo täglich die Sonne aufging. Als Welten- und Lebensbaum ragte eine Sykomore mitten aus dem Urgewässer auf, stützte den Himmel und garantierte damit den Erhalt der Schöpfung.
Ein Lehrgedicht im biblischen Buch der Psalmen erinnert an die mythisch-theologische Geschichte Israels und erwähnt die Sykomore dabei. Zentrales Ereignis in der Beziehung Gottes zu seinem Volk Israel ist die Herausführung aus Ägypten. Der Pharao hatte die im fremden Landzahlreich gewordenen Israeliten zur Arbeit beim Bau der Städte Pitom und Ramses gezwungen. Die „zehn Plagen“ bzw. „Zeichen“ bekräftigten Gottes Macht, bevor Mose – von Gott dazu berufen – das Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit des Landes Kanaan führte. Doch immer wieder schien das Volk Israel an seinem Gott zu zweifeln, der doch letztlich zehnmal mächtiger war als die ägyptischen Götter: „Sie dachten nicht mehr an Gottes mächtige Hand, an den Tag, als er sie vom Unterdrücker befreite, als er in Ägypten Zeichen tat und Wunder im Gefilde von Zoan: [...] Ihre Reben zerschlug er mit Hagel, ihre Maulbeer-Feigen mit Körnern aus Eis. Dann führte er sein Volk hinaus wie Schafe, leitete sie wie eine Herde durch die Wüste.“ (Ps 78,42f.47.52).
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch