Granatapfel: Fülle des Einen
Der Granatapfel (Punica granatum L.) ist nicht mit unserem heimischen Obst verwandt. Seine apfelgroßen gelb-rosa-purpurn getönten Früchte enthalten viele köstlich schmeckende Samen.
Obwohl kein Hauptnahrungsmittel, wie Dattel oder Feige, zählte er zu den sieben besonderen Früchten des gelobten Landes (Dtn 8,8; Num 13,23). Seine saftreichen Samenschalen schmeckten als Frischobst und ergaben auch einen guten Most. Die Blüten lieferten einen roten Farbstoff, die Rinde diente zum Gerben und Färben von Leder. Teile des Baumes nutzte man auch medizinisch.
Wegen seiner korallenroten Blüten und der vielen süßen, roten Samen symbolisiert der Granatapfel von jeher Schönheit, Liebreiz und Fruchtbarkeit.
Im Hohelied preist der Bräutigam Sulamiths sinnliche Anziehungskraft: „Rote Bänder sind deine Lippen; lieblich ist dein Mund. Dem Riss eines Granatapfels gleicht dein Gaumen hinter dem Schleier.“ (Hld 4,3). Granatapfelsaft ist Nektar der Liebenden (Hld 8,2), der Blütenduft Inbegriff des erwachenden Frühlings (Hld 7,12f). Die Liebenden sind einander wie Garten und Gärtner: „Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell. Ein Lustgarten sprosst aus dir, Granatbäume mit köstlichen Früchten, Hennadolden, Nardenblüten, Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt, alle Weihrauchbäume, Myrrhe und Aloe, allerbester Balsam. [...] Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse von den köstlichen Früchten. [...] Ich komm in meinen Garten, Schwester Braut; ich pflücke meine Myrrhe, den Balsam; esse meine Wabe samt dem Honig, trinke meinen Wein und die Milch.“ (Hld 4,12-14.16b; 5,1).
Indirekt umschreiben diese Zeilen die Intimität und Exklusivität der Liebe. Das innere Auge sieht das Bild des paradiesischen Gartens Eden (Gen 2,8f), jenes mythischen Urzustands, in dem der Mensch darum weiß, dass der Schlüssel zu einem glücklichen Leben nur in Gott und in geliebten Menschen liegt: im beständigen wohlwollenden Wechselspiel von Sich-Schenken, Annehmen und Angenommen-Werden.
Die Bibel erwähnt Granatapfel-Ornamente als Verzierung des Priestergewandes (Ex 28,32) und als Säulenschmuck im Jerusalemer Tempel (1Kön 7,18). In diesem Zusammenhang steht das uralte Fruchtbarkeitssymbol für die Botschaft, dass der Reichtum des Landes vom Segen Gottes abhängt: In der Vorstellung der alttestamentlichen Welt ist es Gott, der Pflanzen, Tieren und Menschen Leben und Fruchtbarkeit schenkt (Gen 1,11f, 22,28). Der Mensch der Bibel erfährt Gottes Segen im Wachsen und Gedeihen der Natur, seiner Herden und Kulturpflanzen, beim Gelingen seiner Arbeit. Dahinter mag sich die Erfahrung verbergen, dass sich vieles in der Welt letztlich einer menschlichen Lenkung entzieht.
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch