Wein: Das Volk Gottes
In Ägypten und Vorderasien geht der Anbau von Weinreben (Vitis vinifera L.) bis in das 3. Jahrtausend v. Chr. zurück.
Noah, mythischer Stammvater aller Völker der Erde, „wurde der erste Ackerbauer und pflanzte einen Weinberg“ (Gen 9,20). Dieser Erinnerung nach ist die Geschichte des Weinbaus fast so alt wie die Geschichte der Menschheit.
Offenbar hat es in Kanaan schon vor der Einwanderung der Israeliten hoch entwickelten Weinbau gegeben: Als sie nachdem Auszug aus Ägypten und 40-jähriger Wüstenwanderung an der Grenze des Landes Kundschafter aussenden, bringen diese eine riesige Weintraube mit: Ein Mann allein kann sie nicht tragen (Num 13,23). Wie fruchtbar muss das verheißene Land sein, wenn dort so unglaublich große Trauben wachsen!
Der Wein „erfreut Menschen und Götter“ (Ps 104,15; Ri 9,13). Doch die Bibel warnt auch vor der Kehrseite übermäßigen Alkoholgenusses: „Wer hat Ach? Wer hat Weh? Wer Gezänk? Wer Klage? Wer hat Wunden wegen nichts? Wer trübe Augen? Jene, die bis in die Nacht beim Wein sitzen [...]. Schau nicht nach dem Wein, wie er rötlich schimmert, wie er funkelt im Becher: Er trinkt sich so leicht! Zuletzt beißt er wie eine Schlange [...]. Deine Augen sehen seltsame Dinge, dein Herz redet wirres Zeug.“ (Spr 23,29-33). „Wie ein fruchtbarer Weinstock ist deine Frau drinnen in deinem Haus. Wie junge Ölbäume sind deine Kinder rings um deinen Tisch.“ (Ps 128,3). Eine intakte Familie und reiche Ernte (Sach 8,12) sind Ausdruck von Frieden. Glück und Wohlstand können nur im Frieden mit Gott und den Menschen gedeihen.
Wer einen neuen Weinberg anlegte, musste bis zur ersten Ernte keinen Kriegsdienst leisten (Dtn 20,6): Seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit konnte so der Pflege der jungen Reben gelten. Die eifrige Sorge des Winzers um seine Pflanzung wird in der Verkündigung der Propheten zum Sinnbild der emotionalen Beziehung Gottes zu seinem Volk Israel (Ps 80,9-16; Jes 5,1-7).
Im Neuen Testament veranschaulicht das Weinstockmotiv die unauflösliche Beziehung zwischen Christus und seinen Jüngern: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. [...] getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5). Am Abend vor Jesu Gefangennahme teilt er im Rahmen einer jüdischen Feier Wein mit ihnen: „[...] Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ (Mk 14,23f). Dieses Letzte Abendmahl symbolisiert die zugesicherte Gegenwart Jesu bei den Menschen.
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch