Christusdorn: Kritik am Hochmut
In Samaria, wo die folgende Fabel spielt, kommen zwei Straucharten mit dem Namen Christusdorn vor: Der Gewöhnliche Christusdorn (Paliurus spina-christi MILL.) verliert im Herbst seine Blätter, der Syrische Christusdorn [Ziziphus spina-christi (L.) Desf.] bleibt ganzjährig grün. Beide sind nah mit einander verwandt.
Jotams Fabel von den Bäumen erzählt: „Einst machten sich die Bäume auf, um sich einen König zu salben, und sie sagten zum Ölbaum: Sei du unser König! Der Ölbaum sagte zu ihnen: Soll ich mein Fett aufgeben, mit dem man Götter und Menschen ehrt, und hingehen, um über den anderen Bäumen zu schwanken? Da sagten die Bäume zum Feigenbaum: Komm, sei du unser König! Der Feigenbaum sagte zu ihnen: Soll ich meine Süßigkeit aufgeben und meine guten Früchte und hingehen, um über den anderen Bäumen zu schwanken? Da sagten die Bäume zum Weinstock: Komm, sei du unser König! Der Weinstock sagte zu ihnen: Soll ich meinen Most aufgeben, der Götter und Menschen erfreut, und hingehen, um über den anderen Bäumen zu schwanken? Da sagten alle Bäume zum Dornenstrauch: Komm, sei du unser König! Der Dornenstrauch sagte zu den Bäumen: Wollt ihr mich wirklich zu eurem König salben? Kommt, findet Schutz in meinem Schatten! Wenn aber nicht, dann soll vom Dornenstrauch Feuer ausgehen und die Zedern des Libanon fressen.“ (Ri 9,8-15).
Die Fabel kritisiert denjenigen, der das Königtum anstrebt, aber dessen unwürdig ist. Der Dornbusch ist weder nützlich noch prächtig. Gegen seine Natur eingesetzt, schadet dieser „König“ letztlich nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Schutzbefohlenen.
Im Alten Testament stehen Dornen auch für Schaden und Gefahr: „Dornen und Schlingen liegen auf dem Weg des Falschen; wer sein Leben behütet, bleibt ihnen fern.“ (Spr 22,5).
Dornen brennen zwar sehr gut, aber nur kurz. Daher illustrieren sie auch die Vergänglichkeit der Selbstherrlichen: „Denn wie das Prasseln der Dornen unter dem Kochtopf so das Lachen des Toren. Auch das ist Nichtigkeit.“ (Koh 7,6).
Das Neue Testament überliefert, wie spottende römische Soldaten Jesus vor der Kreuzigung demütigten: „Die Soldaten führten ihn [Jesus] in den Palast hinein und riefen die ganze Kohorte zusammen. Dann legten sie ihm einen Purpurmantel um und flochten einen Dornenkranz; den setzten sie ihm auf und grüßten ihn: Heil dir, König der Juden! Sie schlugen ihm mit einem Stock auf den Kopf und spuckten ihn an, knieten vor ihm nieder und huldigten ihm.“ (Mk 15,16-19). Erst bei der Kreuzigung erkennt der Centurio in Jesus den Gottessohn (vgl. Mk 15,39).
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch