Echte Feige: Erwartung
Die erste namentlich erwähnte Pflanze in der Bibel kann früher als andere Gehölze und zweimal im Jahr süße Früchte hervor-bringen: Die seit 7 000 Jahren als Obstgehölz genutzte Echte Feige (Ficus carica L.) ist sozusagen ein „ungeduldiger Baum“.
Laut Schöpfungserzählung stand am Anfang der Menschheit die Aussicht auf ein glückliches Leben im Garten in Eden: „Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ (Gen 2,8f).
Der Garten – persisch pardēz (Paradies) – ist Bild für die lebensfreundliche Ordnung Gottes. Doch warum war die dort erfahrene Unbeschwertheit, Lebensfülle und Geborgenheit nicht von Dauer? „Die Schlange [...] sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen [...]. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.“ (Gen 3,1-7). Der Verstoß gegen das Gottesgebot führte zum Ausschluss aus dem Garten Eden. Fortan musste der Mensch mühsam arbeiten: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen.“ (Gen 3,19).
Als eine der sieben Früchte des gesegneten Landes steht die Feige für die Fülle Kanaans, des Landes, das Gott den Israeliten versprochen hatte (Dtn 8,7f). Unter dem eigenen Feigenbaum zu sitzen (Mi 4,4), ist ein Bild für den Frieden Gottes (hebräisch: schalom).
Gott wird „am Ende der Zeiten“ den Frieden des Paradieses wiederherstellen. In den Gleichnissen Jesu verdeutlicht der Feigenbaum, wie nahe der Moment ist: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, [...] dass er vor der Tür steht.“ (Mt 24,32f).
Ein Feigenbaum, den Jesus ohne Früchte findet, verdorrt auf dessen Wort hin (Mt 21,18-22). Der Feigenbaum steht hier für den Tempel in Jerusalem, der trotz reger Aktivitäten in seinen Mauern nach Jesu Urteil nicht die „Frucht“ hervorbringt, auf die es ankommt: Haus des Gebets zu sein (vgl. Jer 8,13).
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch