Lein: Reinheit
Die Leinpflanze (Linum usitatissimum L.) ist nutzungstechnisch ein Multitalent: Sie liefert wohlschmeckende Samen zur Ölgewinnung und Flachsfasern, die neben Wolle zu den ältesten Ausgangsstoffen der Textilherstellung gehören. Garne aus Baumwolle (Est 1,6) und Seide (Off 18,12) verwendete man früher viel seltener.
Im Mittleren Osten lässt sich Leinanbau sicher bis etwa 5.000 v. Chr. zurück-verfolgen. Der Gezer-Kalender (10. Jh. v. Chr.), die älteste bekannte hebräische Inschrift, nennt als eine der jährlichen Ernten das Schneiden von Lein. Hier scheint es um die Ernte der Samenkörner zur Ölherstellung zu gehen, denn zur Fasergewinnung schneidet man die Lein-Pflanze nicht, sondern reißt sie samt Wurzel aus („Raufen“).
In der weiteren Verarbeitung weicht man die Pflanzen büschelweise in Wasser ein, um die Bastfasern zu lösen („Rotten“). Leichtes Schlagen trennt dann den Bast vom holzigen Kern des Stängels („Schwingen“). Anschließend kämmt man die Fasern („Hecheln“), verspinnt sie zu Garn und webt daraus Leinenstoffe. Zentrum des Leinanbaus in biblischer Zeit war Ägypten (vgl. Jes 19,9). Stoffe von dort gelangten auch nach Palästina (Spr 7,16). In Israel selbst verarbeitete man Flachs vor allem in Galiläa.
Wie sah die Kleidung im Alten Orient aus? Meist trug man Schurze oder Wickelgewänder aus großen Tüchern. Das zur Zeit des Alten Testaments für Frauen und Männer übliche Hemdgewand (ketonät) bestand aus einem rechteckigen Stück Stoff mit ausgeschnittener Kopföffnung und angesetzten Ärmeln. Personen in hoher Stellung trugen darüber ein langes, ärmelloses Obergewand („Mantel“, me’il). Eine weitere Stoffbahn, die simlah, diente tagsüber als Umschlag-tuch und nachts als Decke zum Schlafen (Dtn 24,13).
Schneidern und Nähen war Aufgabe der Ehefrauen. Fleiß und Geschick darin galten als Tugenden (Spr 31, 10-24). Einfache Kleider bestanden aus ungefärbter Wolle oder grobem Leinen. Die Kleidung der Reichen und die für Festtage war sorgfältiger verarbeitet, aus sehr fein gewebtem Leinen in prächtigen Farben und Mustern (Est 8,15; Lk 16,19).
Zu Zeiten des Alten Testaments mussten Priestergewänder aus Leinen gefertigt sein (Ex 28; Lev 16,4.32). Priester sollten „keine Kleider tragen, in denen man schwitzt“ (Ez 44,18). Vor allem aber stand die weiße Farbe ihrer Kleidung für Reinheit – nicht im Sinne von Sauberkeit, sondern im Sinne von Zugehörigkeit zum Bereich Gottes.
Auch himmlische Wesen erscheinen in der Bibel oft in das leuchtende Weiß feinen Leinens gekleidet: „Ich [Daniel] blickte auf und sah, wie ein Mann vor mir stand, der in Leinen gekleidet war.“ (Dan 10,5; siehe auch Mk 16,5 und Off 7,9).
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch