Linse: Das kleine Jetzt
Die Linse (Lens culinaris MEDIK.) gehört zu den ältesten vom Menschen angebauten Pflanzen. Sie dürfte so alt sein wie der Ackerbau selbst. Archäologen entdeckten bei Ausgrabungen im heutigen Irak verkohlte Linsensamen aus dem 7. Jahrtausend v. Chr. In Israel reichen die Funde bis in die Zeit von 3 000 bis 2 500 v. Chr. zurück.
Auch das Alte Testament erwähnt Feldanbau von Linsen (2Sam 23,11). Neben Getreide waren ihre eiweißreichen Samen in biblischer Zeit ein Grundnahrungsmittel, z. B um daraus Suppe oder Brei zu kochen. Gemahlen und vermischt mit Getreidemehl eigneten sich Linsen auch zum Brotbacken (vgl. Ez 4,9).
Die Bibel erwähnt Linsen zum ersten Mal in der Geschichte der Brüder Jakob und Esau. Die Erzählungen um Jakob gehören zusammen mit denen von Josef, Isaak und Rebekka, Abraham und Sara zu den sog. Erzeltern-Erzählungen. Sie stammen ursprünglich aus unterschiedlichen Zeiten, Stammesgruppen und Gegenden. Die hebräische Bibel verknüpft sie zu einer Geschichte der Stammeltern des Volkes Israel.
Als Erstgeborenem standen Esau große Vorrechte zu: der besondere Segen des Vaters als Weitergabe von „Lebenskraft“ für das zukünftige Wohl der Familie (Gen 27) und der doppelte Anteil am väterlichen Erbe (Dtn 21,17). Dafür sollte er die Verantwortung für die Familie übernehmen. Doch es kam anders: „Einst hatte Jakob ein Gericht zubereitet, als Esau erschöpft vom Feld kam. Da sagte Esau zu Jakob: Gib mir doch etwas zu essen von dem Roten, von dem Roten da, ich bin ganz erschöpft. Jakob gab zur Antwort: Dann verkauf mir jetzt sofort dein Erstgeburtsrecht! Schau, ich sterbe vor Hunger, sagte Esau, was soll mir da das Erstgeburtsrecht? Jakob erwiderte: Schwör mir jetzt sofort! Da schwor er ihm und verkaufte sein Erstgeburtsrecht an Jakob. Darauf gab Jakob dem Esau Brot und Linsengemüse; er aß und trank, stand auf und ging seines Weges.“ (Gen 25,29-34). Das Linsengericht stellt eine momentan verlockende, in Wahrheit aber geringe Gabe dar, für die Esau ein langfristig sehr viel höherwertiges Gut abgibt.
In den späteren jüdischen Kommentaren (rabbinische Schriften) stehen Linsensamen für etwas Kleines, aber nur augenscheinlich Unbedeutendes wie den Leib eines Embryos.Wer etwas Unreines berührt – sei es auch nur so klein wie eine Linse – wird selbst unrein, das heißt er gerät in Konflikt mit der Lebensordnung Gottes.
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch