Schwarzer Senf: Reich Gottes
Schwarzer Senf [Brassica nigra (L.) W.D.J.KOCH] kommt im Nahen Osten wild an Straßen- und Ackerrändern vor. Feldanbau ist seit der Antike belegt.
Die Blätter der Senfpflanze lieferten Gemüse, die Samen dienten als Gewürz und Arzneimittel. Gesetzeskommentare aus alttestamentlicher Zeit untersagen den Anbau des Feldgewächses in Gärten. Von häufigem Genuss raten sie wegen der Schärfe ab.
Die Bibel selbst erwähnt die Pflanze im Alten Testament nicht. Das Neue Testament überliefert folgendes Gleichnis Jesu: „Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen? Es ist wie mit einem Senfkorn, das, wenn es gesät wird, kleiner ist als alle Samen auf der Erde, und wenn es gesät wird, aufwächst und größer wird als alle Gartengewächse und große Zweige bildet, so dass unter seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.“ (Mk 4,30-32).
Vom botanischen Standpunkt aus bereitet die Stelle Probleme: weder ist das Senfkorn der kleinste aller Samen, noch wächst die Pflanze zu einem Baum heran. Der Wesensgehalt des Gleichnisses besteht jedoch nicht in der Vermittlung von botanischem Wissen. Vielmehr geht es um den Kontrast zwischen einem kleinen, unscheinbaren Anfang und dem großen, herrlichen Endpunkt, der daraus erwächst.
Das Gleichnis vom anbrechenden Gottesreich steht in der Tradition der Propheten des Alten Testaments und der Apokalyptik (= Erwartung einer völlig neuen Welt durch den endgültigen Sieg des Guten über das Böse). Das „Reich Gottes“ ist dabei für Jesus kein geografisches Gebiet. Es bezeichnet vielmehr das neue Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, das überall dort Geltung erlangt, wo Menschen mit Gottes Hilfe ein selbstbestimmtes und positives Leben führen.
Das Gleichnis Jesu verdeutlicht drei Aspekte des Gottesreiches. Erstens hat die Herrschaft Gottes bereits begonnen – auch wenn sie sich noch in unscheinbarer Kleinheit verbirgt. Zweitens wird sie sich wie das Senfkorn ohne direktes Eingreifen des Menschen weiter entwickeln. Drittens ist die Herrschaft Gottes etwas völlig Neues: Am Ende wird sie alle Erwartungen übertreffen.
Das Alte Testament verbindet das Bild vom Weltenbaum, unter dem „die Vögel des Himmels nisten“, gewöhnlich mit der Zeder (vgl. Ez 31,6.13). Der stattliche Baum veranschaulicht Schutz durch einen mächtigen, königlichen Herrscher. Ganz anders das Bild vom Senf, eines gewöhnlichen, schwachen Krautes: Sein Samen birgt keine Kraft zu Gewalt und Zerstörung - und steht dennoch für einen vollkommenen Neuanfang.
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch