Kronen-Wucherblume: Pracht und Vergänglichkeit
In Israel erwacht in jedem Frühjahr eine beeindruckend vielfältige Pflanzenwelt zu neuem Leben und überzieht das Land mit einem farbenfrohen Blumenteppich. Die Pracht währt nur kurz: Vor der Dürre des Sommers ziehen sich viele Pflanzen bald wieder unter die Erde zurück.
Zu den typischen Vertretern der Flora gehören neben der Kronen-Wucherblume [Glebionis coronaria (L.) SPACH] mit ihren gelben Blütenköpfchen die rote Berg-Tulpe (Tulipa montana LINDL.), der Scharlachrote Hahnenfuß (Ranunculus asiaticus L.), die weiße Hundskamille (Anthemis spp.) und das meist scharlachrot, manchmal aber auch purpurn, rosa, blau oder weiß blühende Kronen-Windröschen (Anemone coronaria L.).
Die Bibel verwendet anstelle genauer Namen häufig Sammelbegriffe zur Bezeichnung der Blumen. Das erschwert eine exakte botanische Identifizierung. Die hebräischen Wörter ziz und nizah bedeuten „Blume“ bzw. „Blüte“.
Im Hohelied heißt es beispielsweise: „Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und geh’ doch! Denn vorbei ist der Winter, verrauscht der Regen. Auf der Flur erscheinen die Blüten; die Zeit zum Singen ist da.“ (Hld 2,10-12). Mit dem Aufgehen der ersten Blüten ist der Zeitpunkt gekommen, die beengte Stadt zu verlassen und hinaus in den Frühling zu gehen, wo „am Feigenbaum die ersten Früchte [reifen] und die blühenden Reben duften.“ (Hld 2,13). Das Hohelied, eine Sammlung von Liebesgedichten, verknüpft das Erwachen der Natur gedanklich mit dem Erwachen der Liebe. Jetzt ist die „Zeit zum Umarmen, [...] eine Zeit zum Lieben“ (Koh 3,5.8) – Zeit für das Glück, das Verliebte auch heute in inniger Zweisamkeit erfahren.
Da die Frühlingspracht in Palästina nur von kurzer Dauer ist, stehen die „Blume auf dem Feld“ (ziz ha-sadeh, Jes 40,6) und das „sprossende Gras“ (Ps 90,5f) auch für Vergänglichkeit: „Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin; der Ort, wo sie stand, weiß von ihr nichts mehr.“ (Ps 103,15f).
Der alttestamentliche Mensch war sich der kurzen Pracht seines Lebens bewusst. Die Endlichkeit unseres irdischen Daseins steht im Kontrast zur Ewigkeit Gottes. Bilder des Werdens und Vergehens thematisieren daher in der Bibel meist das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf. Gott ist für den Gläubigen der nie versiegende Urquell allen Lebens: er „macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf“ (1Sam 1,6). „Echtes“ Leben zu haben, bedeutet in der Bibel, durch die Befolgung der Gebote mit Gott in einem positiven Verhältnis zu stehen.
Text der Informationstafel im Botanischen Garten, © Professur für Biblische Theologie (katholisch) und Dr. Barbara Ditsch