Diversity Kompetenz
Inhaltsverzeichnis
Was ist Diversitätskompetenz?
Diversitykompetenz ist „die Fähigkeit der oder des Lehrenden, Studierende fern von Zuschreibungen als Individuen wahrnehmen zu können, in der Interaktion und Kommunikation auf sie wertschätzend und respektvoll eingehen zu können, eine Offenheit gegenüber ihren individuellen Zugängen und Herangehensweisen zum Thema zu entwickeln und diese didaktisch zu gestalten und in der Planung antizipierend zu berücksichtigen." [1]
Im Folgenden werden Sie zunächst eine kurze Einfürhrung zu den Diversity Studies finden, inklusive eines kurzen Überblicks über verschiedene in diesem Kontext relevante Begrifflichkeiten. Daraufhin wird dargestellt, wie Diversity in Ihrer Lehre berücksichtigt werden kann, indem Sie Ihr eigenes Forschungsfeld kritisch auf Aspekte von Diversität prüfen. Abschließend erhalten Sie noch ein paar Hinweise, wie Sie sich selbst in Hinblick auf Diversitätsensibilität prüfen können.
Diversity Studies
„Das Themenfeld Diversity umfasst mehr oder weniger scharf abzugrenzende Kerndimensionen. Diese sind das Geschlecht, die Gesundheit, die ethnische und die soziale Herkunft, die Weltanschauung, das Alter und die sexuelle Identität". [2]
Das Forschungsgebiet der Diversity Studies, ursprünglich hervorgegangen aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, befasst sich mit gesellschaftlichen Ungleichheiten und Machtstrukturen. [3] Dabei werden oft noch deutlich mehr Diversitätsdimensionen als die bereits erwähnten Kerndimensionen untersucht. Im Diversity Monitoring der TUD wurden beispielsweise 14 Dimensionen erfasst.
In Deutschland sind die Diversity Studies selten ein eigenständiges Forschungsgebiet, sondern viel mehr eine inter- und transdisziplinäre Forschungsrichtung, die andere Forschungsgebiete durch die Lupe der Diversity Studies beleuchtet. So gibt es an der TU Dresden beispielsweise am Institut für Anglistik und Amerikanistik eine Professur für Amerikanistik mit dem Schwerpunkt Diversity Studies. [4]
Diversitätsgerechtigkeit im Kontext der Hochschullehre
Es wird davon ausgegangen, dass der Diversität der Studierenden zuvorkommend zu begegnen ist. Die Heterogenität der Studierendenschaft ist als eine Chance anzusehen und soll kein Hindernis darstellen. Um das Ausschöpfen dieses Potentials zu ermöglichen, müssen Individuen vorurteilsfrei behandelt, Barrieren abgebaut und den individuellen Problemen begegnet werden. [5] Auch die TU Dresden legt immer mehr Wert auf die Berücksichtigung von Diversitätsaspekten in allen Bereichen der Hochschule. In der Diversity-Strategie 2030 wurden die Handlungsfelder ‚Studium‘ und ‚Forschung und Lehre‘ identifiziert und für die TU Dresden einige übergreifende Ziele gesetzt.
Diversitätsdimensionen & Intersektionalität
Die bereits erwähnten Kerndimensionen von Diversität (Geschlecht, die Gesundheit, die ethnische und die soziale Herkunft, die Weltanschauung, das Alter und die sexuelle Identität) stellen sicher keine allumfängliche Liste dar. Vielmehr handelt es sich um eine Wissensgrundlage, die Sie als Lehrperson stets im Hinterkopf behalten können, wenn Sie Lehrveranstaltungen planen und durchführen.
Es ist davon auszugehen, dass jeder Mensch verschiedene Diversitätsdimensionen in sich vereint. Dabei genügt es nicht, die verschiedenen Diversitätsdimensionen nacheinander einzeln zu betrachten. Vielmehr ist deren Verknüpfung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene wichtig. Dieser mit dem Begriff der Intersektionalität beschriebene Ansatz stellt einen zentralen Forschungsgegenstand der Diversity Studies dar. [6]
Was können Sie tun?
Vor dem Hintergrund diversitätsgerechter Lehre kann es zielführend sein, mögliche Barrieren oder Problemstellungen aus den Diversitätsdimensionen im Kontext Ihrer Lehrveranstaltung abzuleiten, diese zu antizipieren und zu beseitigen, bevor sie sich negativ auf den Lernerfolg der Studierenden auswirken. [7]
Ein gutes Beispiel ist die Flexibilisierung des Studiums. Einen Studiengang in Teilzeit studierbar zu machen, adressiert die Bedürfnisse vieler verschiedener Diversitätsdimensionen: Studierende mit Betreuungs- und Pflegeaufgaben, Berufstätige, Studierende mit verschiedenen Erkrankungen, u.v.m.
Vorurteile, besonders solche die einem unbewusst sind, führen schnell zu diskriminierendem Verhalten. So stellte eine amerikanische Studie fest, dass Professor:innen deutlich häufiger auf Anfragen antworten, wenn der Absender ein weißer Mann zu sein scheint. [8]
Teilnahme an strukturellen Maßnahmen und professionellen Trainings gehören zu den erfolgversprechendsten Möglichkeiten, unbewusste Vorurteile nachhaltig abzubauen (siehe auch Zentrum für Weiterbildung). [9]
Forschungsfeld
Um Diversity gezielt innerhalb Ihrer Lehre zu platzieren kann auch eine Betrachtung Ihres Forschungsfeldes sowie Ihrer Disziplin aus Diversitätsperspektive hilfreich sein. Dazu gehört u. a. die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Gegenwart des eigenen Forschungsgebietes. Sie können sich zum Beispiel fragen:
- Welche Rolle spielte mein Forschungsfeld/mein Fachbereich während der Zeit des Nationalsozialismus? Wie wurde das Wissen meines Fachbereichs historisch instrumentalisiert?
- Wie war das Verhältnis meines Fachs zum Kolonialismus? Gab/Gibt es eine Aufarbeitung aus postkolonialer Perspektiver?
- Wie sieht es mit der Geschlechtergerechtigkeit aus? Gab/gibt es wegweisende weibliche, trans- oder intergeschlechtliche Forscher:innen, wie werden diese heute in der Forschung rezipiert?
- Unter welchen Umständen haben relevante Vertreter:innen der Disziplin gelebt? Wie anschlussfähig war ihre Forschung zu ihrer Zeit?
Eine solche Betrachtung bietet nicht nur neue Impulse für Lehre und Forschung, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit, die Studierenden und auch Sie als Lehrende:n für die behandelten Themen (und deren gesellschaftliche Implikationen) zu sensibilisieren. Durch eine gezielte Aufarbeitung dieser und ähnlicher Themen schaffen Sie Anreize für einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem erlernten Wissen bei Ihren Studierenden, welcher sich wiederum positiv auf den Lernerfolg auswirken kann.
Durch die Analyse der Biographien bekannter Forscher:innen, bieten Sie Studierenden zudem die Möglichkeit, neue Vorbilder zu finden. Um eine Vorbildfunktion zu erfüllen, muss die Person im Grunde zwei Bedingungen erfüllen: einerseits muss sie ein positives Modell für unsere Zukunft darstellen, eine bessere Version von uns selbst und andererseits muss sie eine gewisse Ähnlichkeit mit uns aufweisen. Das Geschlecht kann dabei eine wichtige Rolle spielen, aber andere Diversitätsdimensionen können ebenso dazu beitragen. [10] Versuchen Sie also, Forscher:innen mit diversen Hintergründen vorzustellen.
Selbstreflexion
Eine einfache Maßnahme, die Sie jetzt ergreifen können, ist das Mittel der Selbstreflexion. Nehmen Sie sich etwas Zeit und versuchen Sie, die folgenden ausgewählten Fragen für sich zu beantworten. Das Ziel dabei ist es, sich Ihrer eigenen Diversitäts- und Normalitätsvorstellungen bewusst zu werden.
- Was hat mich zu einer Karriere in der Wissenschaft motiviert?
- Wer waren meine Vorbilder? Waren/sind sie mir ähnlich?
- Welche Themen bereiteten mir im Studium Probleme?
- Welche Erfahrungen mit Diskriminierung habe ich gemacht?
- Spiegelt die Geschlechterquote unter meinen Kolleg:innen ungefähr die in meinen Lehrveranstaltungen wieder?
- Musste ich schon einmal länger gesundheitsbedingt mein Studium/Berufsleben unterbrechen?
- Haben meine Eltern studiert? Haben meine Eltern mich im Studium unterstützt?
- Nehme ich in Lehrveranstaltungen Rücksicht auf die Vereinbarkeit mit verschiedenen Religionen?
Vergegenwärtigen Sie sich, dass viele Studierende mit ähnlichen Situationen konfrontiert sind, wie Sie es waren. Allerdings werden viele Studierende auch Probleme haben, die Sie nie erlebt haben oder nur schwer nachvollziehen können. Wir empfehlen daher auch, dass Sie sich mit Ihren Privilegien einmal genauer auseinandersetzen.
Damit Sie Studierenden, die den Mut aufbringen, sich mit Problemen an Sie zu wenden, weiterhelfen können, haben wir unter Praktische Tipps eine Liste mit Beratungsangeboten für Studierende zusammengetragen.
Wir möchten Ihnen außerdem nahelegen, sollten Sie es nicht schon getan haben, den Selbsteinschätzungstest Diversitätskompetenz zu durchlaufen, um sich weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Es kann auch sehr hilfreich sein, sich externe Hilfe bei der Reflexion einzuholen. Das Zentrum für Qualitätsanalyse der TU Dresden (ZQA) führt regelmäßig Lehrveranstaltungsevaluationen durch. Sollten Sie dieses Angebot noch nicht nutzen, ist dies ein guter Weg zusätzliches Feedback einzuholen. Mehr Informationen finden Sie hier (Informationen zur Lehrveranstaltungsevaluation).
Schließlich sollten Sie sich die Frage stellen, wie Sie die Diversität der Studierenden in die Lehre einbinden können, ohne zu stigmatisieren oder explizit zu erfragen. Dazu bieten sich beispielsweise partizipative Lehrmethoden oder Aufgaben an, in der Studierende ihre Diversitäts- oder Diskriminierungserfahrungen reflektieren können.
Weiterführende Literatur
Diversity Monitoring der TUD:
https://tu-dresden.de/ing/informatik/ai/mci/forschung/forschungsgebiete/diversity-monitoring?set_language=de
Mehr Informationen zu den Diversity Studies und ihrer Geschichte:
Steven Vertovec (2019): Routledge International Handbook of Diversity Studies
Diversitätsgerechte Lehre an Hochschulen:
Nicole Auferkorte-Michaelis, Frank Linde (2018): Diversität lernen und lehren – ein Hochschulbuch
Eine Anleitung zu systematischer Selbstreflexion: https://www.qualifizierungdigital.de/_medien/downloads/Methodenkoffer-_Lernfoerderliche_Reflexionsfragen_27_11_2014.pdf
Quellen
[1] Rohr/Ouden/Rottlaender (2016), S. 78f
[2] Diversity-Strategie TU Dresden (2016), S. 7
[3] Vgl. Schwalbach (2010), S. 26f
[4] Vgl. Diversity Toolbox FU Berlin (2017) https://www.genderdiversitylehre.fu-berlin.de/en/toolbox/teaching-and-study-content/studies/index.html
[5] Diversity-Strategie TU Dresden (2016), S. 9ff
[6] Vgl. Walgenbach (2012)
[7] Vgl. Auferkorte-Michaelis/Linde (2018) S.342ff
[8] Milkman, Katherine L. and Akinola, Modupe and Chugh, Dolly, What Happens Before? A Field Experiment Exploring How Pay and Representation Differentially Shape Bias on the Pathway into Organizations (2014) https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2063742
[9] League of European Research Universities
Implicit bias in academia: a challenge to the meritocratic principle and to women's careers—and what to do about it. (2018) https://www.leru.org/files/implicit-bias-in-academia-full-paper.pdf
[10] Cheryan, S., Siy, J. O., Vichayapai, M., Drury, B. J., & Kim, S. (2011). Do Female and Male Role Models Who Embody STEM Stereotypes Hinder Women’s Anticipated Success in STEM? Social Psychological and Personality Science, 2(6), 656–664. https://doi.org/10.1177/1948550611405218