Bisherige Pflanzen der Woche - Der Märzenbecher
Der Märzenbecher Leucojum vernum L.
Die Tage werden wieder länger und manch einer wartet sehnlichst auf den Beginn des Frühlings. Erste Vorboten der Pflanzenwelt kündigen diesen, trotz erneuter Kälteeinbrüche, bereits an. Zu den Zeigerpflanzen, deren Blüte den Vorfrühling markiert, gehört neben dem Haselstrauch und dem Schneeglöckchen auch der Märzenbecher (Leucojum vernum L.). Aufgrund seines auffälligen unterständigen, grünen Fruchtknotens ist er auch unter dem Namen Frühlings-Knotenblume bekannt.
Als sogenannter Frühjahrsgeophyt verbringt er die meiste Zeit des Jahres unsichtbar unter der Erde. Seine Zwiebel speichert Wasser und Nährstoffe aus der letztjährigen Vegetationsperiode. Mit Hilfe dieser Reserven nutzt er für Austrieb, Blüte und Vermehrung das kurze Zeitfenster im Frühjahr, in dem die Sonne den Waldboden mit Licht und Wärme durchflutet, bevor das Blätterdach der Laubbäume dort wieder Schatten wirft.
Die weißen, glöckchenförmigen Blüten des Märzenbechers verströmen einen veilchenartigen Duft, der erste Bienen anlockt. Gelbgrüne Flecken auf den sechs eiförmigen Blütenblättern weisen auch bestäubenden Käfern den Weg in das Blüteninnere. Frei zugänglichen Nektar enthält die Märzenbecherblüte allerdings nicht. Insekten müssen den Griffel anbohren oder aufbeißen, um an saftreiches Gewebe zu gelangen.
Ein spannendes Detail weist die Basis des reifen Samens auf: Die Samenschale bildet dort ein fett- und eiweißhaltiges Futterkörperchen (Elaiosom) für Ameisen. Diese sammeln die Elaiosomen als Nahrung und schleppen zugleich die relativ großen Samen in Richtung ihres Baus – wodurch sich die Art „auf Ameisenfüßen“ langsam ausbreiten kann. Neben der sexuellen Vermehrung über Samen trägt auch die vegetative Vermehrung durch Tochterzwiebeln dazu bei, dass Märzenbecher an geeigneten Standorten üppige Bestände bilden. Vor Mäusefraß, der den Speicherorganen anderer Frühjahrsblüher leicht zum Verhängnis wird, ist der Märzenbecher gut geschützt: Die ganze Pflanze, vor allem aber ihre Zwiebel, enthält giftige Alkaloide, die denen der nah verwandten Narzisse ähnlich sind. Beide gehören zur Familie der Amaryllisgewächse (Amaryllidaceae).
Auf nährstoffreichen Böden in Au- und feuchten Laubmischwäldern findet der Märzenbecher optimale Lebensbedingungen, in höheren Lagen besiedelt er auch sumpfige Wiesen. Da natürliche Vorkommen in ganz Deutschland selten und durch Lebensraumzerstörung bedroht sind, gilt die Art nach der Bundesartenschutzverordnung als besonders geschützt. Die Roten Liste von Sachsen stuft sie als gefährdet ein. Nachweise ihrer Gartenkultur in der Lausitz reichen bis in das 16. Jahrhundert zurück. Eines der bekanntesten Vorkommen hierzulande, im Naturschutzgebiet Polenztal in der Sächsischen Schweiz, lockt jährlich zur Blütezeit viele Besucher an. Natürliche Vorkommen gibt es im Leipziger Auwald und im mittelsächsischen Lößhügelland.
Neben der Frühlings-Knotenblume umfasst die Gattung Leucojum nur noch eine weitere, ebenfalls in Europa vorkommende Art: die Sommer-Knotenblume Leucojum aestivum L. Deren Stängel tragen mehrere Blütenköpfchen – ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zum Märzenbecher. Sie wird außerdem mit bis zu 50 cm Höhe deutlich größer und blüht etwas später im Jahr, von März bis Mai, in feuchten Wiesen.
Wer sich auf die Suche nach Märzenbechern im Botanischen Garten begeben möchte, sollte sich im hinteren Gartenteil im Bereich der einheimischen Flora umschauen. Begegnen kann man dort auch noch vielen weiteren Frühjahrsblühern. Spätestens wenn im Laufe des Märzes die gelben Blüten des Scharbockskrautes den Boden bedecken, kündigt sich auch der Erstfrühling an!
(KW 10/23)