Bisherige Pflanzen der Woche - Die Gelenkblume
Physostegia virginiana (L.) Benth.
Im hinteren Teil des Botanischen Gartens, der den im Freiland kultivierbaren Pflanzenfamilien gewidmet ist, fällt als Vertreterin der Lippenblütengewächse (Lamiaceae) im Spätsommer die Gelenkblume Physostegia virginiana ins Auge.
Doch wie kam sie zu ihrem Namen? Zwischen Juli und September öffnen sich entlang der meist unverzweigten Blütenstände ihre rosafarbenen Blüten. Und tatsächlich: Diese sind beweglich und lassen sich durch leichten seitlichen Druck nach links oder rechts verschieben, um dann in dieser neuen Position zu verharren. Möglich wird diese „Gelenkigkeit“ der Blüte durch ein spezielles Bewegungsgewebe im Übergangsbereich von Blütenstiel und Stängel, dessen Zellmembranen sich unter anderem durch eine hohe Quellfähigkeit auszeichnen. Mit einsetzender Fruchtbildung verliert sich die bemerkenswerte Eigenschaft.
Überlegungen zu einem möglichen ökologischen Nutzen dieser Eigenschaft für die Pflanze finden sich in der Literatur einige. So beobachtete beispielsweise John Merle Coulter, dass die Blüten Regentropfen ausweichen und somit das Blüteninnere geschützt bleibt. Seine Beobachtungen zur Gelenkblume veröffentlichte er 1882 in der botanischen Fachzeitschrift „Botanical Gazette“ in Amerika.
Physostegia virginiana ist unter den elf Arten der Gattung die am weitesten verbreitete und variabelste. Anders als bei den meisten übrigen Vertretern, sind ihre kreuzgegenständig angeordneten, scharf gezähnten, lanzettförmigen Blätter in der Regel nicht stängelumfassend. Das natürliche Verbreitungsgebiet der Art erstreckt sich von Kanada bis Nordost-Mexiko. Sie besiedelt Flussufer, feuchte Gebüsche und Wiesen, kommt aber auch entlang von Straßenrändern, Feldern und auf bloßem Kalkstein vor.
Die winterharte, bis 1,50 m hohe Staude wird in Europa seit dem 17. Jahrhundert als Zierpflanze kultiviert. Gartenbesitzer:innen können aus einer großen Sortenvielfalt mit Blüten von weiß über blassrosa zu pupurn-violett wählen. Hummeln, Bienen und Wespen bestäuben die duftlosen Blüten. Im Beet setzten sie noch hübsche Farbakzente, wenn viele andere Stauden bereits verblüht sind. Auch als Schnittblume in der Vase ist die Gelenkblume recht langlebig. Nicht zuletzt durch die besondere Drehbarkeit ihrer Blüten ist sie auch für die Floristik ein interessantes Gewächs. Wer die Pflanze im eigenen Garten kultivieren möchte, sollte wissen, dass sich ihr kriechendes Rhizom recht ausbreitungsfreudig zeigen kann, wenn der passende Standort gefunden ist.
(KW 37/22)